Ich hab’ Beef mit Jeff! – Warum ich nicht mehr launchen will

Auf meinem Weg zu einem Social-Media-freien, ethischen Marketing habe ich mein nächstes Dorn im Auge: das Launchen.

Ich mag nämlich nicht mehr Menschen in meine Programme „hineinfunneln“.🙈

Das „klassische“ Launchen, so wie wir es aus dem Onlinemarketing kennen und so wie ich es jahrelang für mich praktiziert habe, ist nämlich alles andere als achtsam und ethisch, wenn wir ehrlich sind.

Sowohl für mich als „Launchende“. 

(Manchmal war ich nach dem Launch so ausgebrannt, dass ich dringend Urlaub gebraucht hätte. Und da war der Kurs, den ich gelauncht habe, noch nicht einmal gestartet …)

Als auch für die Menschen, an die ich meine Programme gelauncht habe.

(Ich schätze mal, niemand möchte gerne Mails à „Das Angebot gibt es nur noch eine Stunde – friss oder stirb“ bekommen.)

Doch wie können wir unsere Onlineprogramme mit Teilnehmer*innen füllen, ohne mit Druck, psychologischen Tricks und dem üblichen Marketing-Blabla zu arbeiten?

Lass uns dafür zunächst einmal das klassische Launchprinzip angucken.

Das klassische Launchen nach Jeff Walker

Launchen, so wie wir es kennen, basiert auf der sogenannten „Product Launch Formula“ von Jeff Walker.

Der gute Jeff hat nämlich herausgefunden, dass man Programme und digitale Produkte viel besser verkauft, wenn es eine künstliche Verknappung gibt.

So wird der Warenkorb an einem Tag – meist durch ein Webinar – geöffnet („Open Cart“) und nach ein paar Tagen wieder geschlossen („Closed Cart“). Und davor und danach kann das Programm nicht mehr gekauft werden.

In der Open-Cart-Phase bedient sich Jeff der üblichen E-Mail-Marketing-Taktiken mit Deadlines, Timern und sogenannten „mentalen Triggern“, also psychologischen Tricks, die Menschen dazu bringen sollen, das Produkt zu kaufen.

Warum ich Beef mit Jeff hab

Zunächst einmal hat Jeff natürlich absolut Recht:

Marketing mit Verknappung und anderen mentalen Triggern „funktioniert“. In dem Sinne, dass ein Programm tatsächlich interessanter ist und ein „Habenwollen“ auslöst, wenn es nur wenige Tage im Jahr zur Verfügung steht. 

Ist bei mir ein bisschen so wie mit Bärlauch. Ich mag ihn nicht besonders. Aber wenn ich ihn im Frühling beim Spaziergang mit dem Hund entdecke, denke ich: „Nimmst ihn halt mal mit, sonst musst du wieder ein Jahr warten … “

Alle großen Online-Unternehmer*innen, die ich kenne, bedienen sich dieser Bärlauch-Taktik. Und das erfolgreich.

Doch darf ich mich psychologischen Tricks bedienen, einfach nur weil … es funktioniert? Darf ich ggf. fragwürdige Marketingtaktiken anwenden, einfach nur weil … es alle machen? Darf Wachstum und finanzieller Erfolg der einzige Wert sein, den ich im Marketing verfolge?

Ich glaube: 

Nein.
Nein.
Und nein.

Und ich schätze mal, du siehst es ähnlich.
Ja, vermutlich sehen das die meisten Selbstständigen ähnlich. 

Niemand will manipuliert werden. (Doch die meisten Selbstständigen manipulieren.)

Und da nehme ich mich selbst nicht raus. In der Vergangenheit habe ich auch Jeffs Buch inhaliert und mit Deadlines und Timern gearbeitet, weil es so schön „funktioniert“ hat. Doch was ist die Alternative?

Vielleicht denkst du jetzt:

„Ist ja schön und gut. Ich bin auch für Ethik und Moral. Aber gleichzeitig will ich von meiner Selbstständigkeit leben können. Was ist also die Alternative?“

Ich weiß es nicht so genau.
(Also noch nicht.)

Aber ich begebe mich auf die Suche.
Ich bin auf dem Weg.
Und ich werde berichten.😊

Was ich ab sofort nicht mehr mache

Einiges habe ich aber schon in den letzten Wochen umgesetzt und geändert.

Keine „charmanten Preise“ mehr

Da wäre zum einen die Sache mit den Preisen.

Bestimmt ist dir nämlich schon aufgefallen, dass Preise sehr häufig auf „7“ oder „9“ enden, oder? Sei es im Discounter oder bei hochpreisigen Coaching-Angeboten …

„Charm Pricing“ nennt sich das und meint die psychologische Preisgestaltung, die suggeriert, dass ein Produkt günstiger ist, als es ist.

Deshalb kosten Onlinekurse auch oft „497“, „997“ oder „1497“ Euro.

Wir denken „Cool, noch dreistellig“ und kaufen, ohne mit der Wimper zu zucken, das Produkt, das eigentlich bereits vierstellig kostet.

Auch ich habe mich jahrelang dieser Strategie bedient.

Gar nicht mal, weil ich dachte: „Jetzt will ich Menschen zum Kauf meines Produktes manipulieren. MuahahaHAHAHA.“ 

Sondern weil es alle so machten.

Ich weiß, dass „Weil es alle machen“ ein doofer Grund ist. Und genau deshalb habe ich mich, bei den Dingen, die ich anbiete (wie den Schreibcircle zum Beispiel oder meine Onlinekurse), gefragt, ob ich mich noch länger dieser psychologischen Preisgestaltung bedienen will.

Und: nein.
Will ich nicht.

Deshalb enden meine Preise jetzt – wie mein Stundensatz ja auch – regulär auf einer „0“.

Kein Aufpreis mehr für Ratenzahlungen

Eine zweite Sache, die ich bei der Preisgestaltung für meine Produkte geändert habe, betrifft die Ratenzahlung.

Klassischerweise sollen im Launch Einmalzahlungen belohnt und Ratenzahlung bestraft werden. Deshalb sind Ratenzahlungen bei den meisten Onlineprogrammen auch teurer.

Dafür gibt es an sich eine vernünftige Erklärung: 

Ratenzahlungen bedeuten für den oder die Anbieter*in einen buchhalterischen Mehraufwand und natürlich ist da immer auch ein gewisses Risiko, dass die letzten Raten nicht bezahlt werden.

Das ist alles richtig. Doch inzwischen empfinde ich einen Aufpreis für Ratenzahlungen einfach nicht mehr als sozial

Gerade Einsteiger*innen können sich vier- oder fünfstellige Produkte – selbst wenn sie nach bestem Wissen und Gewissen kalkuliert wurden und ihren Preis absolut wert sind – oft noch nicht leisten. 

Sie sind auf Ratenzahlungen angewiesen, und wie doof ist es eigentlich, diese Situation als Unternehmerin auszunutzen und Einsteiger*innen mit höheren Preisen zu „bestrafen“? (Um nicht zu sagen: zu diskriminieren.)

Dabei ist es für Unternehmer*innen mit mehr finanziellen Ressourcen doch ein Leichtes, solidarisch mit denjenigen zu sein, die weniger finanzielle Ressourcen zur Verfügung haben, und soziale Preismodelle anzubieten?!

Umso mehr, wenn genau diese Unternehmer*innen regelmäßig größere Summen an Hilfsorganisationen spenden und sich auf Social Media als wahnsinnig „sozial“ geben.

Ratenzahlungen biete ich deshalb ab sofort ohne Aufpreis an.

Keine Timer und künstliche Deadlines mehr

Wenn es kein klassisches „Open Cart“ und „Closed Cart“ gibt, brauche ich auch keine Timer und künstlichen Deadlines mehr.

(Juhu!🥳 Hab sie sowieso immer gehasst!)

„Nur noch zwei Stunden sind die Türen zu meinem Programm geöffnet. Buche jetzt noch schnell.“

Solche Mails möchte ich in Zukunft nicht mehr verschicken.

Kein Zeitdruck mehr für mich

Und schließlich ist das Ganze auch noch für mich viel entspannter.😊 

Auf andere Menschen Druck auszuüben, selbst wenn es „nur“ per E-Mail ist, hat natürlich auch auf mich selbst Druck ausgeübt. 

Kein Wunder, dass ich mich nach Launches so oft ausgelaugt und erschöpft fühlte.

Mehrere Wochen vor einem gemeinsamen Start die Türen zu einem Programm wie dem Schreibcircle zu öffnen, fühlt sich herrlich entspannt an. Ich muss nicht – pünktlich zu einem Webinar – fit sein, sondern mehrere Wochen Zeit, um auf dem Blog oder Newsletter über mein Programm zu reden.😊

Stattdessen will ich nun Folgendes tun

Fiese Gedanke verbannen und stärkende Gedanken denken

Zunächst einmal starte ich – wie immer – im Innern. Da ist nämlich dieser hartnäckige Glaubenssatz in mir, dass ich nicht erfolgreich sein kann, wenn ich ethisch handle.🙈

Verrückt, oder?

Ich vermute: Das ist Gedankengut aus Sowjetzeiten, wo jede*r, der oder die erfolgreich sein wollte, krumme Dinger drehen und jemanden bestechen musste. (Ich wünschte, das wäre ein Witz.)

Weg damit.

„Ich kann ein ethischer Mensch sein und genügend Umsatz machen, um ein schönes Leben zu führen.“

Viel besser.

Diesen Satz schreibe ich mir nun jeden Tag zehnmal irgendwohin, bis auch die letzte Zelle in meinem Körper verstanden hat, dass es so ist.😜

Wartelisten

Solange ich nicht genau weiß, wann ich das nächste Mal ein Programm anbieten kann und will, biete ich Menschen die Möglichkeiten an, sich in Wartelisten einzutragen.

Das möchte ich auch in Zukunft so handhaben.

Wartelisten finde ich für beide Seiten herrlich entspannt und unkompliziert.  

Menschen, die grundsätzlich Interesse an einem Programm haben, tragen sich in eine Warteliste ein, selbst wenn ich die Details noch nicht festgelegt habe.

Sobald Zeitraum, Leistungsumfang und Preis feststehen, schreibe ich ihnen eine Mail und sag ihnen Bescheid.

Natürliche Verknappung(en) kommunizieren

Es gibt für mich einen großen Unterschied zwischen künstlicher und natürlicher Verknappung.

Natürliche Verknappung hat einen guten, nachvollziehbaren Grund wie

  • eine begrenzte Zahl der Teilnehmer*innen, um alle bestmöglich unterstützen zu können

  • begrenzt freie Slots für Mentorings, weil der Tag nun mal 24 Stunden hat und ich nicht mehr als X Mentoringkund*innen parallel haben kann, ohne mich zu verzetteln

  • Anmeldemöglichkeit endet an Tag X, weil wir am Tag darauf gemeinsam starten

Diese natürlichen Verknappungen, empfinde ich nicht als Manipulation und werde sie auch weiterhin kommunizieren.

Schließlich ist es auch absolut in Ordnung, wenn ein Hotel oder ein Restaurant auf der Website erzählt, dass sie nur eine begrenzte Anzahl an Zimmern oder Plätzen zur Verfügung hat.

Oder hast du schon einmal gedacht:

„Boah, nur 40 Hotelzimmer?! Wie können sie es wagen, so viel Druck auf mich auszuüben?!“ 

Kapazitäten transparent zu kommunizieren oder die Zahl der Teilnehmer*innen zu begrenzen (um sie optimal unterstützen zu können), finde ich immer noch absolut legitim. Für Hotels und Restaurants. Und natürlich auch für Berater*innen und Coaches.

Working out loud

Ich liebe das Konzept von „Working out loud“. 

„Working out loud“ heißt vereinfacht, dass ich nicht einfach nur im stillen Kämmerlein vor mich hin arbeite, sondern dass ich Menschen an meiner Arbeit teilhaben lasse und Wissen teile.

Das kann ein Behind-the-Scenes-Blogartikel so wie dieser hier sein. Oder auch ein persönlicher Newsletter.

Statt mich unnahbar zu geben und Entwicklungen oder Erkenntnisse zu verheimlichen, erzähle ich offen die Hintergrundgeschichten zu meinen Angeboten, rede über meine Werte, Denkprozesse und (innere oder äußere) Veränderungen.

Das ist für mich nicht Manipulation.

Das ist Sichtbarkeit.
Das ist Teilen von Wissen.
Das ist „Working out loud“.

Online-Events

Online-Events wie Webinare, Workshops oder Kongresse sind aus meiner Sicht nicht per se „manipulativ“.

Sie können – wie im klassischen Launchen – natürlich als Strategie genutzt werden, um die Open-Cart-Phase einzuleiten und Menschen in den „Funnel“ zu bekommen.

Sie können aber auch einfach nur eine Möglichkeit sein, um sichtbar zu machen, was wir wissen und wie wir Menschen mit unseren Angeboten helfen können.

Und Letzteres finde ich immer noch absolut in Ordnung.

Eine Online-Veranstaltung nach dem Muster 

„Hier ist das was ich weiß, tue und kann. Und hier ist eine Möglichkeiten, mit mir zusammenzuarbeiten.“

ist nämlich etwas völlig anderes als 

„Hier ist das, was ich weiß, tue und kann. Und du hast nun fünf Tage Zeit zu entscheiden, ob du mit mir zusammenarbeiten willst. (Ansonsten erst nächstes Jahr wieder! #sorrynotsorry) Und wenn du dich in den nächsten 15 Minuten entscheidest, bekommst du Boni im Wert von drölfzig tausend Euro.“

Das Erste ist Sichtbarkeit. Das Zweite ist Druck. (Und psychologische Trickserei.)

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