Resilienz für Unternehmer*innen: Wie Selbstständige Krisen meistern und an ihnen wachsen – Interview mit Bettina Bergmann

Bettina Bergmann ist Business-Coachin und hilft engagierten Unternehmerinnen dabei, ihr einzigartiges Naturell zu entdecken und im Vertrauen auf sich und ihre Fähigkeiten erfolgreich zu sein. Im Interview verrät sie, wie Selbstständige und Unternehmer*innen Krisen meistern und Resilienz entwickeln können.


Liebe Bettina, was bedeutet Resilienz genau?

Danke, dass du genau diese Frage am Anfang stellst. Ehrlich gesagt – ich bin immer wieder erstaunt, dass viele Menschen in der Tat nicht wissen, was genau mit Resilienz gemeint ist. Re-silienz hat viel zu tun mit Re-aktion. Eine Interessentin bucht nicht, mein Kurs verkauft sich nicht, eine Freundin bekommt eine Krebsdiagnose – ich kann verzweifeln oder ich kenne einen Weg, der mich aus meinem emotionalen Elend wieder rausholt.

Und genau das ist Resilienz: Das, was Menschen während und nach dem Erleben von Stress mental gesund hält. 

Und was zeichnet einen resilienten Menschen aus? 

Darf ich von mir erzählen? Ich glaube, ich bin das beste Beispiel für einen resilienten Menschen. 2013 ist mein Mann an einem Hirntumor gestorben und ich hatte 3 Monate später einen Herzinfarkt. Damals wusste ich noch nichts von nützlichen Strategien, ich habe wohl einfach intuitiv vieles richtig gemacht. Ich erinnere mich noch genau an den Abend nach der Beerdigung. Es war warm. Ich saß allein auf dem Balkon. Freunde und Familie waren weg. Ruhe. Und jetzt? Meine Antwort an mich selbst: Ich lebe. 

Was heißt „leben“? Pläne machen, nach vorne schauen, das Schöne im Alltag entdecken, optimistisch sein und daran glauben, dass es irgendeinen Weg geben wird, dass es gut wird. Ich habe Freunde, die mich unterstützen.

Später habe ich gelernt, dass ich wie nach Lehrbuch Resilienz gelebt hatte: Ziel- und Lösungsorientierung, Optimismus, Akzeptanz und Bindung. So habe ich es geschafft, meine Lebenskrise zu überwinden. 

Ich vergleiche einen resilienten Menschen gerne mit dem Bambus. Dieser Pflanze können die größten Stürme nichts anhaben. Die Zweige brechen nicht ab. Sie biegen sich – manchmal auch fast bis zum Boden – und richten sich anschließend wieder auf. Bambus ist äußerst flexibel. In den Tropen baut man daraus sogar Gerüste für Hochhäuser, weil sie erdbebensicher sind – besser als Stahl. 

Und genauso anpassungsfähig sind resiliente Menschen. Sie sind nicht immun gegen jede Krise, sie haben auch Angst, sie erleben auch schmerzhafte Erfahrungen. Aber: Sie kennen und nutzen Strategien, um den inneren Kompass wieder auf „positiv“ zu stellen. 

Ganz wichtig: Das gilt nicht nur für große Krisen, sondern auch für den ganz alltäglichen Wahnsinn, den ich meistern muss. 

Coachin Bettina Bergmann steht vor einem Esstisch mit einer Tasse in der Hand

Bettina Bergmann

Woran erkenne ich, wenn mir als Unternehmer*in Resilienz fehlt?

  • Ich bin spät abends parallel zum Film noch am Handy, um bei FB oder Insta ja nichts zu verpassen (kann dir nicht mehr passieren 😊, liebe Alex).

  • Ich fühl mich unter Druck, jede Mail von Kund*innen sofort zu beantworten; ich denke, dass ich 24/7 für sie da sein muss.

  • Ich kriege viel zu wenig geregelt, weil ich mich nicht entscheiden kann.

  • Ich komme mit meinem Produkt nicht zu Potte, weil es noch nicht „perfekt“ genug ist.

  • Ich habe ein mieses Gefühl, weil ich sehe, was die Konkurrenz Tolles macht.

  • Es prasselt so viel auf mich ein und ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.

  • Ich habe viel zu wenig Zeit – und das, obwohl ich als Selbstständige doch selbstständig organisieren könnte.

Ich glaube, jede von uns kennt diese Situationen aus dem Business-Alltag. Und vermutlich gibt es da noch einige Situationen mehr. Was ist das verbindende Element all dieser Erfahrungen? 

Es fehlt dir zu vielen Dingen der Mut. Du brauchst Mut, um deine Online-Zeiten zu reduzieren, um Kund*innen klar zu machen, dass du nicht jederzeit verfügbar bist, um dich für das eine oder das andere Marketing-Angebot zu entscheiden oder deinen Tag zu strukturieren (Mut zum Kürzen der To-do-Liste).

Und für diesen Mut brauchst du Selbstvertrauen. Resilienz hat sehr viel mit Selbstvertrauen zu tun. Ich muss meine Stärken gut kennen, damit ich weiß, worauf ich bauen kann. 

Wie können Unternehmer*innen ihre Resilienz fördern und trainieren? Oder ist die Fähigkeit zur Resilienz angeboren?

Zentrale Botschaft zu dieser Frage: Resilienz ist lernbar. Es gibt Menschen, die von Natur aus eher an das Positive glauben oder sich nicht so schnell „unterkriegen“ lassen. Die lernen vielleicht schneller. Aber grundsätzlich ist Resilienz eine Kompetenz, die jede*r erwerben und trainieren kann.

Wichtige Voraussetzung für den Trainingserfolg ist eine gute Selbstwahrnehmung. Für mich ist das der Start ins Training. Ich muss erst genau spüren, beobachten, erkennen, was gerade mit mir los ist, damit ich den nächsten Schritt machen kann. 

Hier kommt die viel zitierte Achtsamkeit ins Spiel. Ich darf hinhören, wie es mir geht. Wo spüre ich Unruhe? Verspannungen? Ungeduld? Zweifel? All das sind Signale, die mich auffordern sollten, etwas zu ändern und dadurch mehr Zufriedenheit in mein Leben zu holen.

Ich selbst bin noch nicht so weit wie du, Alex, dass ich mich von FB und co verabschiedet habe. Deshalb kenne ich es nur zu gut, dass gerade durch zu viel Social Media der Kopf ziemlich rödelt. Gedanken schwirren durcheinander. Die vielen To-dos wollen beachtet werden. 

Quick-Tipp, um aus diesem Gedankenkarussell auszusteigen:

Konzentriere dich ganz auf das, was gerade hier und jetzt ist:

Was machst du gerade? Wie schmeckt der Erdbeerkuchen? Wie fühlt sich der Wind auf der Haut an? Welche Farben siehst du beim Blick aus dem Fenster? 

Nimm mit allen Sinnen wahr, was ist. Diese Konzentration bringt dich sofort raus aus dem Stress-Modus und du kommst runter – physiologisch gesprochen: Puls wird langsamer, Blutdruck sinkt. Man kann es auch Meditation nennen – ganz klein und ganz alltagspraktisch.

Wie können Selbstständige Selbstzweifel in den Griff bekommen und ihr Selbstvertrauen stärken?

Um zu lernen, wie ich Selbstzweifel in den Griff bekomme, ist es gut zu wissen, wieso ich sie überhaupt habe. Wie entstehen Selbstzweifel? Was lässt mich als erwachsene Frau an mir zweifeln – und das, obwohl viele von uns Ausbildungen erfolgreich abgeschlossen haben, Ehen gelebt, Trennungen überstanden, Kinder großgezogen und Jobs gemeistert haben.

Auf unserer persönlichen Lebenslinie stehen viele Erfolge – aber wir sehen sie nicht. Wir lieben es, unsere Schwächen zu betonen und die Fehler in den Mittelpunkt zu stellen. „War ja klar, dass ich das nicht geschafft habe.“ Anstatt: „Ich schau mal, was genau noch nicht funktioniert hat, und mache es beim nächsten Mal besser.“

Wir verallgemeinern gerne: Immer geht was schief. Hat alles keinen Sinn. Das wird nie gut gehen.

Um aus dieser Nummer rauszukommen, ist es klug, das wahrzunehmen, was gelingt, was gut ist, was einfach stimmt. 

Auch hierzu habe ich einen Quick-Tipp:

Starte den Tag gleich morgens mit deinem persönlichen Journal. Schreib auf, auf was du dich freust und wofür du dankbar bist. Wenn du jeden Tag deine Gedanken auf positiv richtest, wirst du deutlich mehr positive Erfahrungen am Tag machen und viel öfter in einer guten Stimmung sein. Wir steuern über unser Gehirn unsere Emotionen. Deshalb ist diese Strategie so wirkungsvoll, wenn du sie regelmäßig anwendest.

Klimakrise, Krieg, Corona … Wie schaffen wir es, nicht an der Weltlage zu verzweifeln, sondern Vertrauen aufrechtzuerhalten? 

Ja, genau. Auch mit diesen Erfahrungen gesund umzugehen, ist Resilienz. Warum leiden wir eigentlich an diesen Ereignissen und an den Nachrichten über diese Ereignisse? Es belastet, sich machtlos zu fühlen. Ich kann zwar zu einer Demo gehen oder spenden, aber letztlich doch nur sehr begrenzt etwas bewirken. 

Deshalb hilft hier, der diffusen Bedrohung etwas entgegenzusetzen, was sehr real im Hier und Jetzt passiert:

  • Dem Gefühl, keine Kontrolle zu haben, kannst du entgegensteuern, indem du etwas tust, was du gut kontrollieren kannst, zum Beispiel etwas kochen, im Garten neue Blumen pflanzen oder eine Yoga-Session einlegen.

  • Mach etwas, wobei du dich konzentrieren musst und Körper und Geist gleichzeitig trainierst. Das lenkt dich ab, zum Beispiel Tanzschritte lernen, klettern oder jonglieren lernen. Dein Gehirn ist dann ausgelastet und hat keine Energie mehr für negative Gedanken.

  • Reduziere die Frequenz der Nachrichten. Einmal am Tag reicht, um auf dem Stand zu bleiben.

  • Eine raffinierte und intensive Strategie ist auch, dass du deine Sinne starken Reizen aussetzt: Ingwer und Chili, kalte Dusche, Lavendelbad. Wenn du mit allen Sinnen aufmerksam bist, ist dein Gehirn beschäftigt und hat keinen Platz mehr fürs Grübeln.

  • Schreib dir alles von der Seele. Aber nicht orthografisch perfekt und stilistisch optimiert, sondern expressiv. Also einfach schreiben, ohne Punkt und Komma. 20 Minuten lang. Das wirkt.

Kleiner Kommentar am Rande: Du darfst gut für dich sorgen, auch wenn woanders Krieg ist – ohne schlechtes Gewissen. Du hast Verantwortung für dich, deine Arbeit, deine Familie. Das bedeutet auch, dass du gesund bleiben musst, um für diese Menschen da zu sein. Das ist kein Egoismus.

Vielen Dank für das Interview, Bettina!

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