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Hier dreht sich alles um wertebasiertes Marketing ohne Social Media, Psychotricks und das übliche Marketing-Blabla.
10 Ideen für Selbstständige und Unternehmer*innen, feministischer zu sein
In diesem Blogartikel stelle ich dir 10 Ideen vor, als Selbstständige oder Unternehmerin feministisch(er) zu sein. Im Marketing, in der Kommunikation und bei der Preisgestaltung.
Jedes Jahr am 8. März ist es wieder soweit:
Marketingabteilungen entdecken den Weltfrauentag (aka den feministischen Kampftag) für sich und glauben, dass sie einen wichtigen Beitrag zu Geschlechtergerechtigkeit leisten, wenn sie so etwas posten wie:
Starke Frauen können heute alles erreichen, was sie wollen. Seid mutig, Mädels, und macht einfach euer Ding.💪💪💪
Solche Botschaften mögen nett gemeint sein und wer auf Social Media in der Female-Empowerment-Bubble unterwegs ist, kann sich vermutlich vor dem Angespannten-Bizeps-Emoji nicht mehr retten.
Doch sie sind für mich das Gegenteil von dem, worum es im Feminismus geht.
Wer glaubt, dass wir das Problem mit der fehlenden Gleichberechtigung lösen können, indem Frauen einfach mal ein bisschen mutiger sind, hat das Grundproblem nicht verstanden.
Verantwortlich ist nicht ein vermeintlich falsches Verhalten von Frauen, sondern gesellschaftliche Strukturen, die es Frauen erschweren bis unmöglich machen, ein gleichberechtigtes Leben zu führen.
Doch wenn es nicht um eine extensive Nutzung des Angespannten-Bizeps-Emojis geht – welche Möglichkeiten gibt es stattdessen für Selbstständige und Unternehmer*innen, feministischer zu sein?
Im Folgenden stelle ich dir 10 Ideen ausführlich vor (Lesezeit je nach Lesegeschwindigkeit 15 bis 30 Minuten):
#1 Bildung, Weiterbildung und Sensibilisierung
Am Anfang steht für mich immer die eigene Bildung, Weiterbildung oder Sensibilisierung zu feministischen Themen.
Wichtig scheint mir hier vor allem, dass sich Selbstständige und Unternehmer*innen darin üben, Feminismus intersektional zu denken und sich nicht nur mit der weißen Normfrau beschäftigen, sondern in ihren Überlegungen auch Frauen of Color, Frauen mit Migrationsgeschichte, Frauen mit Behinderung, trans Frauen und andere marginalisierte Gruppen selbstverständlich einschließen. (Hier hat sich übrigens auch der Begriff FLINTA bewährt, der eine Abkürzung für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender Personen ist.)
Wir können zum Beispiel mit Selbstreflexion starten und unsere eigene Position regelmäßig reflektieren.
✅ Regelmäßige Selbstreflexion
In welchen Bereichen habe ich Vorteile, die andere nicht haben?
Welche Zugänge (Bildung, Kontakte, finanzielle Sicherheit) hatte ich, die mir meine Selbstständigkeit erleichtert haben?
Gab es Menschen, die mir Türen geöffnet haben? Wem werden diese offenen Türen oft verwehrt?
Wie beeinflussen meine Herkunft, Hautfarbe, mein Geschlecht oder meine sexuelle Identität meine Chancen in der Selbstständigkeit?
Kenne ich die Herausforderungen, mit denen Menschen aus marginalisierten Gruppen kämpfen? Oder sind sie für mich unsichtbar?
Mit welchen Menschen arbeite ich am liebsten zusammen? Gibt es hier unbewusste Muster? Bevorzuge ich zum Beispiel unbewusst Menschen, die mir ähnlich sind?
Welche Eigenschaften verbinde ich mit Professionalität? Sind diese Vorstellungen geprägt von einer weißen, männlichen Norm?
Habe ich Vorannahmen darüber, wer kompetent ist – zum Beispiel, was Alter, Geschlecht, Aussehen, Sprache, Bildungsweg angeht?
Wie reagiere ich, wenn eine Frau hart verhandelt? Finde ich es sympathisch oder zu fordernd?
Wenn ich Teams leite oder Freelancer*innen beauftrage – sind die Bedingungen wirklich fair und inklusiv?
Wer fehlt in meinen Kooperationen, Interviews, Panels oder Events?
Bin ich bereit, unbequeme Gespräche über strukturelle Probleme zu führen – auch wenn es meine Reichweite oder meinen Umsatz beeinflussen könnte?
Wichtig: Bei der Beantwortung der Fragen geht es nicht um Perfektion (niemand ist perfekt), sondern darum, sich auf den Weg zu machen, und um Ehrlichkeit.
Es geht darum, ein Bewusstsein für die eigene Situation und die eigenen Privilegien zu entwickeln, um konkrete Schritte ableiten und Veränderungen in Gang setzen zu können.
✅ Unbewusste Voreingenommenheit testen
Manchmal haben wir die besten Intentionen – und dennoch würdigen wir eine Gruppe von Menschen mit einer Äußerung herab oder bedienen uns Stereotypen.
Das wird Unconscious Bias – unbewusste Voreingenommenheit – genannt. Der Begriff beschreibt, dass wir Annahmen und Überzeugungen über andere Menschen haben, denen wir uns oft gar nicht bewusst sind.
Diese Überzeugungen steuern dann unser Verhalten und kommen nicht nur privat, sondern natürlich auch im Berufsleben zum Tragen, zum Beispiel bei der Wahl der Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, oder bei der Art, wie wir mit anderen Menschen kommunizieren. Sie können nicht nur auf Geschlecht, sondern auch Alter, Aussehen, Religion und viele andere Merkmale bezogen sein.
Zwei Dinge sind hier wichtig:
Jeder Mensch hat eine – mehr oder weniger ausgeprägte – unbewusste Voreingenommenheit gegenüber anderen Menschen. Das liegt zum einen daran, dass wir viele dieser Annahmen mit unserer Sozialisation erlernen (Frauen sind …). Zum anderen ist es auch eine menschliche Eigenschaft, der Komplexität der Welt durch Vereinfachung und Kategorisierung zu begegnen und so „Abkürzungen“ zu nehmen. In Millisekunden beurteilen wir, ob jemand so ist wie wir oder nicht, und wir bevorzugen oft die Menschen, die zu unserer Gruppe gehören.
Wir müssen uns wegen unserer unbewussten Voreingenommenheit nicht schuldig fühlen – wie gesagt: Es ist ein Stück weit auch menschlich. Stattdessen können wir unseren Fokus darauf legen, uns dieser Voreingenommen bewusst zu werden und ihr gezielt entgegenzuwirken. Das wird nicht immer leicht sein, denn wie der Name schon sagt, sind wir uns dieser Voreingenommenheit erst einmal gar nicht bewusst. Was hilft, ist, sich aktiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
Eine gute Möglichkeit dafür ist der kostenlose Harvard Implicit Association Test (IAT). Dieser Test wurde von Forschenden der Harvard-Universität entwickelt, um unbewusste Vorurteile oder – wie es der Name schon sagt – implizite Assoziationen zu messen.
Hier wird untersucht, wie schnell Menschen Konzepte wie Alter, Geschlecht, Ethnie etc. mit Attributen wie gut und schlecht verknüpfen. Der Gedanke dahinter ist, dass Menschen, die unbewusste Vorurteile gegenüber einer Gruppe von Menschen haben, eher Schwierigkeiten haben, positive Begriffe mit dieser Gruppe in Verbindung zu bringen, mehr Zeit für die Zuordnung benötigen oder häufiger Fehler machen.
→ Zum Harvard Implicit Association Test (IAT)
Mit den Ergebnissen aus diesem Test kommst du deiner unbewussten Voreingenommenheit und automatisierten Reaktionen auf die Spur und kannst überlegen, in welchem Bereich du dich intensiver weiterbilden oder welche Gegenmaßnahmen du ergreifen willst.
✅ Feministische Bücher und Comics lesen
I like big books and I cannot lie! Auch Bücher oder Comics sind natürlich eine tolle Möglichkeit, sich feministisch weiterzubilden.
Inzwischen gibt es so viele gute Bücher, dass Empfehlungen schwer fallen. Hier ein (völlig subjektiver, willkürlicher) Versuch:
Lisa Jaspers (Hrsg.): Unlearn Patriarchy. Ullstein 2022. (Link zur Verlagsseite)
Beate Hausbichler: Der verkaufte Feminismus. Wie aus einer politischen Bewegung ein profitables Label wurde. Residenz Verlag 2021. (Link zur Verlagsseite)
Franziska Schutzbach: Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit. Droemer Knaur 2021. (Link zur Verlagsseite)
Caroline Criado-Perez: Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert. Penguin 2020. (Link zur Verlagsseite)
Sibel Schick: Weißen Feminismus canceln. Warum unser Feminismus feministischer werden muss. Fischer 2023. (Link zur Verlagsseite)
Emilia Roig: Why we matter. Das Ende der Unterdrückung Aufbau Verlag 2021. (Link zur Verlagsseite)
Mareice Kaiser: Das Unwohlsein der modernen Mutter. Rowohlt 2021. (Link zur Verlagsseite)
Teresa Bücker: Alle_Zeit. Eine Frage von Macht und Freiheit. Ullstein 2022. (Link zur Verlagsseite)
Margartete Stokowski: Die letzten Tage des Patriarchats. Rowohlt 2018. (Link zur Verlagsseite)
Kostenloser Comic zum Mental Load You should’ve asked: english.emmaclit.com/2017/05/20/you-shouldve-asked/
Nein, diese Bücher haben nicht zwingend was mit Marketing und Selbstständigkeit zu tun. Aber wie gesagt: Zunächst geht es darum, sich weiterzubilden und für feministische Themen zu sensibilisieren.
Und noch ein Tipp:
Falls du lieber Podcasts hören, kann ich dir den Lila Podcast ans Herz legen:
→ Zum Podcast: Feminismus für alle. Der Lila Podcast (Link zu Spotify)
#2 Faire Preise und Löhne
Wer anfängt, sich mit feministischen Themen zu beschäftigen, wird früher oder später auf die zahlreichen Gender Gaps, also Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, stoßen.
Hier sind drei der wichtigsten:
Gender Care Gap = ungleiche Verteilung unbezahlter Care-Arbeit
Frauen leisten mehr unbezahlte Care-Arbeit (Kinderbetreuung, Haushalt, Pflege) als Männer. (Quelle)
Als Konsequenz haben sie weniger Zeit für Erwerbsarbeit und Karriere.
Gender Pay Gap = Lohn- und Einkommenslücke
Frauen verdienen, selbst bei vergleichbarer Qualifikation und Tätigkeit, im Durchschnitt weniger als Männer. (Quelle)
Als Ursachen werden unter anderem Teilzeitarbeit, unbezahlte Care-Arbeit, gläserne Decke und strukturelle Diskriminierung angenommen.
Gender Pension Gap = Rentenlücke
Frauen erhalten im Alter oft niedrigere Renten als Männer. (Quelle)
Die Gründe hierfür sind geringere Einkommen vor der Rente und Erwerbsunterbrechungen wegen Erziehung oder Pflege (siehe Gender Pay Gap).
Die Gender Gaps sind miteinander verknüpft und haben langfristige Folgen für Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit.
Selbstständige, Unternehmer*innen und Unternehmen können feministisch(er) agieren, wenn sie die diversen Gender Gaps auf dem Schirm haben und sich um eine feministische Preispolitik bemühen.
✅ Faire Löhne
Falls Mitarbeiterinnen, Freelancerinnen oder andere Dienstleisterinnen beschäftigt werden, gilt es, faire Löhne zahlen.
In meiner Selbstständigkeit war ich mehr als einmal Zeugin, wie erfolgreiche Unternehmerinnen nach außen für Female Empowerment einstanden, aber die virtuellen Assistentinnen und Freelancerinnen, mit denen sie hinter den Kulissen zusammenarbeiten, nicht angemessen bezahlen wollten oder grundsätzlich um jeden Euro feilschten.
Eine faire Bezahlung hingegen ist nicht nur ein Ausdruck von Respekt und Wertschätzung, sondern auch eine wesentliche Grundlage für Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen.
✅ Faire Preise
Neben fairen Löhnen können Selbstständige und Unternehmer*innen, denen Feminismus wichtig ist, sicherstellen, dass Preise für Produkte oder Dienstleistungen fair kalkuliert sind.
Gerade im Coachingbereich tun aber immer noch viele so, als würden sie Frauen mit Hochpreiscoachings „empowern“.
Dabei ist das Gegenteil der Fall:
Wer hochpreisige Onlineprogramme verkauft – wir reden hier von Coachings, die einen fünf- oder sechsstelligen Betrag kosten –, macht Produkte für einen kleinen Teil wohlhabender Frauen und leistet ganz sicher keinen Beitrag zu mehr Geschlechtergerechtigkeit.
Schlimmer wird das Ganze noch, wenn Frauen, die sich diese hochpreisigen Coachings nicht leisten können, mit Sprüchen wie „Du hast das falsche Money Mindset“ oder „Du musst in dich investieren, um erfolgreich zu sein“ psychisch unter Druck gesetzt werden.
Faire Preise heißt für mich auch, auf manipulative Preisgestaltung zu verzichten:
charmante Preise, also Preise, die auf „7“ oder „9“ enden (997, 1999 etc.) und das Produkt günstiger erscheinen lassen
Angel Numbers, also besonders „energetische“ Zahlen wie 333 oder 777
✅ Solidarische Preismodelle
Unter Punkt 1 habe ich bereits über den intersektionalen Feminismus gesprochen.
Noch einmal zur Erinnerung: Feminismus darf es nicht ausschließlich darum gehen, die Situation weißer, privilegierter Frauen zu verbessern, sondern im Idealfall die Situation aller Frauen und anderer FLINTA-Personen.
Die Realität für Frauen sieht immer noch nicht gerade rosig aus:
Bundesweit erzielen nur 10 % der Frauen im Alter von 30 bis 50 Jahren ein Nettoeinkommen von über 2.000 Euro. (Quelle)
19 % der Frauen verfügen über kein eigenes Einkommen, während 63 % monatlich weniger als 1.000 Euro verdienen. (Quelle)
Die durchschnittliche Rente von Frauen liegt derzeit unter 900 Euro pro Monat. (Quelle)
Das Armutsrisiko für Frauen beträgt aktuell 16 %. (Quelle)
Gerade bei den Preisen für Produkte und Dienstleistungen können Selbstständige und Unternehmer*innen diese Fakten berücksichtigen, indem sie eine solidarische Preisgestaltung einführen, um auch einkommensschwachen oder marginalisierten Gruppen den Zugang zu Programmen zu erleichtern und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.
Hier drei Ideen:
Ratenzahlung ohne Aufpreis
Im Coachingbereich ist es üblich, einen Aufpreis für Ratenzahlungen zu berechnen.
Kostet ein Programm beispielsweise 1000 Euro und wird eine Zahlung in 5 Raten angeboten, beträgt die Gesamtsumme oft 10 oder 20 Prozent mehr – oder ist sogar noch höher.
Damit werden Menschen mit geringem Einkommen gegenüber Menschen, die sich die Einmalzahlung ohne Probleme leisten können, zusätzlich benachteiligt.
Dieses Problem lässt sich leicht beheben, indem ein Programm immer gleich kostet – egal, in wie vielen Raten jemand diesen Betrag zahlt.
Pro bono
Eine weitere Möglichkeit der solidarischen Preisgestaltung ist, Pro-bono-Beratung anzubieten.
Selbstständige und Unternehmer*innen könnten zum Beispiel sagen:
Pro Quartal biete ich X Beratungen für Menschen aus dem Bereich Y kostenfrei an.
Sind für den Quartal alle Slots belegt, sind sie belegt. Auf keinen Fall geht es darum, sich selbst auszubeuten und grundsätzlich kostenfrei für andere zu arbeiten – sondern zu seinen eigenen Bedingungen bestimmte Menschen, Themen, Werte, you name it zu supporten.
Stipendien
Bei Stipendien ist es ähnlich. Wer große Onlineprogramme mit vielen Teilnehmenden hat, kann sagen:
Pro X gekaufte Plätze vergebe ich ein Stipendium für Menschen, die Y.
Auch hier geht es nicht darum, umsonst zu arbeiten, sondern in seinen Programmen Strukturen zu schaffen, die einkommensschwachen oder marginalisierten Gruppen Zugang und Teilhabe ermöglichen.
✅ Balance zwischen Nachhaltigkeit und Solidarität finden
Ich weiß, dass gerade die Balance aus der nachhaltigen, wirtschaftlichen Kalkulation der eigenen Preise und der solidarischen Preisgestaltung herausfordernd sein kann.
Eine einfache Lösung für dieses komplexe Problem habe ich an dieser Stelle nicht, sondern empfehle, individuelle Lösungen auszuprobieren.
Meine individuelle Lösung sieht zum Beispiel so aus, dass ich mein Wissen großzügig teile, mir meine Zeit aber gut bezahlen lasse.
Mit anderen Worten:
Wer mein Wissen anzapfen will, kann das kostengünstig in meinen Büchern „No Social Media“, „Don’t be evil“, in meinen Selbstlernkursen oder sogar völlig kostenfrei in Blogartikeln, Podcastfolgen oder Newslettertexten tun.
Wer meine Zeit will, muss eben ein bisschen mehr zahlen.
Gleichzeitig biete ich – seit Neuestem – eben auch eine Pro-bono-Beratung pro Quartal und andere Formen von solidarischen Preismodellen an.
Diese Lösung fühlt sich für mich gut an und mein Eindruck ist, dass es auch bei anderen Menschen gut ankommt.
#3 Keine unbezahlte Arbeit erwarten – oder selbst leisten
Während ich diesen Text schreibe, erhalte ich eine E-Mail, in der mich jemand bittet, ihr einen kostenlosen Rat für ihre Situation zu geben.
Solche Anfragen erhalte ich regelmäßig und lehne sie grundsätzlich ab.
Zum einen ist es aus fachlicher Sicht keine gute Idee, einem Menschen, den ich nicht kenne, Tipps zu geben. Es gibt fürs Marketing nun mal kein Geheimrezept, das zu allen passt, sondern einen Blumenstrauß an Ideen, aus dem sich jede*r die passenden Blümchen herauspicken und zu einem eigenen Strauß binden muss.
Und selbst wenn es solche pauschalen Tipps gäbe: Wer Frauen bittet, nur mal schnell kostenlos Rat zu geben, wertschätzt ihre Zeit und ihre Expertise nicht. Das ist ein grundsätzliches Problem.
✅ Zeit und Expertise von Frauen bezahlen
Selbstständige, Unternehmer*innen und Unternehmen, die feministisch(er) sein wollen, sollten deshalb nicht erwarten oder darum bitten, dass Frauen ihr Wissen oder ihre Expertise, die sie unter Umständen über Jahre ausgebildet haben, kostenlos teilen.
Stattdessen sollten sie Frauen für ihre Zeit und Expertise bezahlen.
Gleichzeitig dürfen Selbstständige und Unternehmer*innen bei solchen Anfragen für sich einstehen und auch ganz klar NEIN sagen – höflich, aber bestimmt.
Wichtig:
Mir geht es hier nicht um Austausch auf Augenhöhe oder Support unter Freundinnen und lieben Kolleginnen, sondern um die grundsätzliche Erwartungshaltung, dass die Expertise und Zeit von Frauen nichts wert ist.
#4 Strukturelle Veränderungen unterstützen
Nun haben wir gerade über Menschen mit geringem Einkommen gesprochen. Doch was machst du eigentlich, wenn es bei dir so richtig, richtig gut läuft und du der Gesellschaft etwas „zurückgeben“ willst?
Schaut man sich die Social-Media-Feeds an, scheinen die meisten Selbstständigen und Unternehmer*innen an eine Organisation ihrer Wahl zu spenden.
Lange Zeit fand ich daran auch überhaupt nichts auszusetzen und habe es auch selbst so gemacht, bis ich im Oktober 2023 ein Interview mit Marlene Engelhorn gesehen habe.
Marlene setzt sich als Millionärin, BASF-Erbin und Gründerin der Initiative taxmenow schon seit Jahren für die Besteuerung großer Vermögen ein und fordert insbesondere für Superreiche eine neue Steuerpolitik.
Spenden findet sie ein problematisches System, weil eine Gesellschaft so reichen Einzelpersonen erlaubt zu entscheiden, wo das Geld hinfließen soll. Das verfestigt nicht nur ihre Machtposition, die sie durch ihren enormen Reichtum eh schon haben, sondern führt auch nicht immer zu sinnvollen Prioritäten.
Obwohl der Lifestyle der Milliardäre zum Beispiel eine der größten Ursachen der Klimakrise sind, gingen im Jahr 2022 nur zwei Prozent der Spenden von Reichen in die Bekämpfung des Klimawandels.
Falls dich das Interview interessiert, kannst du es hier in voller Länge nachgucken: zdf.de/3sat/bosetti-late-night/bosetti-late-night-folge1-100.html → Ab der 37. Minute spricht Marlene über Spenden.
Marlene hat sich deshalb dazu entschieden, einen Bürgerrat demokratisch entscheiden zu lassen, wie ihr Vermögen verteilt werden soll. (Quelle)
Und auch Selbstständige und Unternehmer*innen können sich fragen, ob sie ihr Geld einfach gemäß ihrer subjektiven, willkürlichen Präferenzen und Interessen spenden wollen – oder ob sie nicht vielmehr demokratische Strukturen stärken und sich für strukturelle Lösungen stark machen.
✅ Gewerkschaft beitreten
Eine erste Idee, wie Selbstständige und Unternehmer*innen strukturelle Veränderungen unterstützen können, ist, einer Gewerkschaft beizutreten.
Während es im Female Empowerment darum geht, einzelnen Frauen bei der Selbstverwirklichung zu helfen, geht es Gewerkschaften darum, die Arbeitsbedingungen aller Menschen zu verbessern.
Gewerkschaften wie ver.di zum Beispiel vertreten die spezifischen Interessen von Solo-Selbstständigen und haben dabei auch immer gesellschaftspolitische Themen im Blick. Es geht ihnen nicht darum, dass wenige Frauen finanziell erfolgreich werden, sondern dass alle Selbstständigen eine soziale Absicherung haben.
Übrigens: Den Mitgliedsbeitrag für eine Gewerkschaft kannst du von der Steuer absetzen.
✅ Partei beitreten
Eine weitere Idee, strukturelle Veränderungen voranzubringen, ist, einer Partei beizutreten, die explizit feministische Politik betreibt.
Ich erspare mir an dieser Stelle, eine bestimmte Partei zu empfehlen. Doch ein Blick ins Wahlprogramm oder auf die Website sollte schnell Klarheit darüber verschaffen, wie eine Partei zu den Rechten von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen steht:
Setzt sich die Partei aktiv für Gleichstellung ein?
Positioniert sie sich zu intersektionalem Feminismus und berücksichtigt sie Rassismus, Klassismus und andere Formen von Diskriminierung? Unterstützt die Partei die Rechte von trans, nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen?
Wie divers ist die Partei selbst aufgestellt? Wie sieht es mit dem Frauenanteil in Führungspositionen und der Repräsentation marginalisierter Gruppen aus? Werden wichtige Positionen paritätisch besetzt?
Welche Maßnahmen schlägt die Partei im Hinblick auf die Gender Gaps vor?
Setzt sich die Partei für eine faire Bezahlung in Care-Berufen ein?
Fordert die Partei mehr Frauen in Führungspositionen, zum Beispiel durch verbindliche Quoten in Unternehmen und Politik?
Welche Konzepte hat die Partei für bezahlbare Kinderbetreuung?
Setzt sich die Partei für eine partnerschaftlichere Elternzeitregelung ein?
Was will die Partei gegen Gewalt gegen Frauen und marginalisierte Gruppen unternehmen? Gibt es Ideen oder Programme zur Prävention?
Setzt sich die Partei für eine Reform restriktiver Abtreibungsgesetze, zum Beispiel die Abschaffung von §218, ein?
Übrigens: Die finanzielle Unterstützung einer Partei, egal ob Mitgliedsbeitrag oder Spende, kannst du nicht als Betriebsausgabe steuerlich geltend machen, sondern als Sonderausgabe.
✅ Feministische Initiativen unterstützen
Und schließlich können Selbstständige und Unternehmen Zeit, Geld und Energie investieren, um feministische Initiativen oder Projekte zu unterstützen. Hier sind ein paar Ideen:
Feministische Petitionen unterschreiben und mit der Community teilen
sich bei feministischen NGOs engagieren
bei feministischen Streiks und Demos mitmachen
Mails an Abgeordnete*n deines Wahlkreises schreiben und feministische Themen ansprechen
#5 Marketingbotschaften reflektieren
Zu Beginn des Artikels habe ich schon erwähnt, dass es nicht unbedingt ein Beitrag für mehr Geschlechtergerechtigkeit ist, wenn Marketingabteilungen in ihren Marketingbotschaften das Verhalten von Frauen in den Mittelpunkt rücken.
Starke Frauen können heute alles erreichen, was sie wollen. Seid mutig, Mädels, und macht einfach euer Ding.💪💪💪
Solche Botschaften sehen vielleicht so aus wie Female Empowerment. Tatsächlich wird damit aber die Vorstellung aufrechterhalten, dass es ein vermeintlich richtiges oder falsches Verhalten von Frauen gibt.
Mutig sein: richtig
Schüchtern sein: falsch
Sein Ding machen: richtig
Unsicher und zurückhaltend sein: falsch
Damit wird geschickt von der Tatsache abgelenkt, dass es gesellschaftliche Strukturen sind, die Frauen daran hindern, ihre Ziele zu erreichen. Da können sie noch so oft mutig sein, ihr Ding machen und an ihrem Mindset arbeiten.
Folgende Marketingbotschaften finde ich deshalb wenig hilfreich bis schädlich:
❌ „Sei mutiger, dann klappt’s auch mit der Karriere!“
Solche Tipps ignorieren systemische Hürden wie gläserne Decken, ungleiche Bezahlung oder diskriminierende Unternehmenskulturen.
❌ „Mit der richtigen Morgenroutine zum Erfolg“
Solche Inhalte suggerieren, dass strukturelle Benachteiligung durch individuelle Selbstoptimierung überwunden werden kann.
❌ „Frauen müssen einfach mehr fordern!“
Solche Inhalte übersehen, dass Frauen oft abgestraft werden, wenn sie Gehaltserhöhungen oder Führungspositionen fordern – Stichwort Likeability Bias.
Statt zu suggerieren, dass Frauen sich selbst optimieren müssen, sollten Marketingbotschaften auf strukturelle Veränderungen und kollektive Verantwortung abzielen.
Ungefähr so:
✅ „Es liegt nicht an dir, sondern am System. Lass es uns gemeinsam ändern!“
Solche Botschaften erkennen, dass die Ungleichheit nicht durch vermeintlich falsches Verhalten verursacht wird, sondern durch gesellschaftliche Strukturen.
✅ „Gleiche Chancen für alle – Zeit für faire Löhne und echte Vereinbarkeit!“
Solche Botschaften betonen notwendige Veränderungen in Politik und Unternehmen, statt Frauen für ihre Benachteiligung verantwortlich zu machen.
✅ „Gleichberechtigung ist kein Frauenproblem, sondern eine Aufgabe für uns alle!“
Solche Botschaften nehmen Männer, Unternehmen und Politik in die Pflicht statt nur Frauen.
Ja, solche Botschaften sind komplexer als „Du kannst alles erreichen, wenn du nur XY machst“. Aber wer sich für feministische Themen einsetzen möchte, sollte nicht schummeln und so tun, als wäre alles ganz leicht.
#6 Bildmaterial reflektieren
Nachdem du deine Marketingtexte auf problematische Narrative überprüft hast, kannst du bei deinem Bildmaterial weitermachen.
Noch mal: Wer als Selbstständige*r oder Unternehmer*in feministisch(er) im Marketing sein will, muss Feminismus intersektional denken.
Es geht nicht darum, einfach nur mehr Frauen auf Bildern abzubilden oder sich Stockfotos rauszusuchen, auf denen zwei Frauen miteinander reden.
Es geht darum, die Vielfalt von Frauen zu repräsentieren:
Frauen unterschiedlicher Altersgruppen
Frauen verschiedener Körperformen und -größen
Frauen of Color
Frauen mit Behinderung
Frauen mit sichtbaren religiösen Symbolen wie Kopftuch
trans Frauen und andere FLINTA-Personen
Frauen aus unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Hintergründen
Frauen in nicht-traditionellen Berufen oder Führungspositionen
und so weiter
Wenn dein Bildmaterial überwiegend normschöne, weiße Frauen ohne Behinderung in ihren Zwanzigern abbildet, ist noch viel Potenzial nach oben.
Gleiches gilt, wenn dein Bildmaterial Stereotype reproduziert und traditionelle Geschlechterrollen festigt, statt sie aufzulösen, zum Beispiel: Frauen sind Mütter vs. Männer machen Karriere oder Männer sind handwerklich begabt, Frauen brauchen in diesem Bereich Hilfe und so weiter.
#7 Frauen gezielt Sichtbarkeit schenken
Egal, welchen Bereich wir uns angucken – Männer sind sichtbarer als Frauen. Auf dieser Website wurden ein paar Not so Fun Facts zusammengetragen. Hier ein Auszug:
Frauen werden seltener in die mediale Berichterstattung einbezogen als Männer. Nur 26 Prozent der Menschen, die in TV-Informationsformaten zu Wort kommen, sind weiblich.
Bei Veranstaltungen sind weniger als 25 Prozent der Speaker*innen weiblich.
Im Bereich Forschung und Entwicklung machen Frauen ca. 27 Prozent des Personals aus.
Nur 10 Prozent der Nennungen von Erfinder*innen bei Patenten betreffen Frauen.
In den Vorständen der 100 größten Unternehmen in Deutschland beträgt der Anteil der Frauen im Jahr 2023 knapp 20 Prozent.
2022 wurden 28 Prozent der Professuren von Frauen besetzt.
und so weiter
Wollen Selbstständige und Unternehmer*innen feministisch(er) agieren, können sie es sich zur Gewohnheit machen, Frauen und anderen FLINTA-Personen gezielt Sichtbarkeit und Reichweite zu geben.
Hier ein paar Ideen:
✅ FLINTA empfehlen
Regelmäßig Unternehmer*innen, Expert*innen und Autor*innen in den eigenen sozialen Medien, Newslettern oder Blogposts vorstellen
In Businessgruppen gezielt FLINTA und ihre Projekte weiterempfehlen
✅ FLINTA verlinken
Andere Unternehmer*innen und feministische Projekte verlinken, teilen, gezielt anfragen, promoten, fördern und so weiter
✅ FLINTA featuren
FLINTA als Gastautor*innen für Blogs oder als Speaker*innen für Webinare und Podcasts einladen
✅ Kooperationen mit FLINTA
Gemeinsame Produkte, Programme, Events oder Onlinekurse mit anderen FLINTA organisieren
✅ FLINTA als Speaker*innen und Expert*innen einladen
Bei Events darauf achten, dass Frauen und andere FLINTA-Personen gleichberechtigt vertreten sind.
Auch hier wieder Intersektionalität mitdenken: nicht nur Frauen, sondern Frauen of Color, Frauen mit Behinderung, Frauen mit Migrationsgeschichte und so weiter.
✅ Feministische Kunst stärken
Werke von feministischen Autor*innen, Künstler*innen und Musiker*innen kaufen und sie so unterstützen
#8 Inklusive Sprache
Frauen und andere FLINTA-Personen sichtbar zu machen, schließt für mich auch die Sprache mit ein.
Statt in der Unternehmenskommunikation das generische Maskulinum zu verwenden und damit nur Männer abzubilden, können es sich Selbstständige und Unternehmer*innen angewöhnen, eine inklusive und geschlechtergerechte Sprache zu nutzen.
In den letzten Jahren wurden unterschiedliche Strategien dazu eingeführt und diskutiert. Doch die perfekte Methode gibt es bisher noch nicht. Alle Ideen kommen sowohl mit Vor- als auch mit Nachteilen.
Wie du in diesem Text sicherlich schon gesehen hast, nutze ich selbst den Asterisk (das Sternchen), weil ich das momentan für die beste Methode halte, die uns zur Verfügung steht.
Die Vorteile:
Das Sternchen inkludiert alle Geschlechter.
Laut dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) ist das Sternchen das geeignetste Genderzeichen aus Sicht der Barrierefreiheit.
In der gesprochenen Sprache wird der Stern durch einen Glottisschlag ausgedrückt, eine kurze Pause wie bei „Spiegel – Pause – ei“.
Die Nachteile:
Das Sternchen könnte eine Herausforderung für Menschen mit Lernschwierigkeiten sein oder für Menschen, die gerade Deutsch lernen.
Wird nicht von allen Screenreadern gleich gut vorgelesen.
Das Sternchen verleitet oft dazu, die männliche Pluralform nicht korrekt zu bilden (Ärzt*innen).
Auch wenn es die perfekte Gendertechnik noch nicht gibt, scheint mir das Wichtige zu sein, dass wir uns auf den Weg machen und als Gesellschaft überlegen, wie wir so viele Menschen wie nur möglich in Sprache abbilden und aufhören, Frauen und andere FLINTA-Personen nur mitzumeinen.
#9 Digitale Barrierefreiheit unterstützen
Dass Feminismus intersektional sein sollte, habe ich jetzt schon oft erwähnt. Im Marketing bedeutet das auch, digitale Barrierefreiheit zu unterstützen.
Digitale Barrierefreiheit bedeutet, Onlineinhalte auch für Menschen mit Behinderung oder Lernschwierigkeiten aufzubereiten und verschiedene Altersgruppen, sozioökonomische Hintergründe oder Migrationsgeschichte zu berücksichtigen.
Zentrale Maßnahmen zur digitalen Barrierefreiheit sind unter anderem:
✅ Farbkontraste
Hast du schon einmal versucht, einen weißen Text auf hellgelbem Hintergrund zu lesen? Lass mich raten: War eher schwierig.
Ohne Farbkontraste können Texte schwer oder sogar gar nicht lesbar sein. Und auch Links oder Buttons sind schwer zu erkennen.
Von ausreichend hohen Farbkontrasten profitieren alle Menschen:
Nicht nur können Menschen mit einer Sehbehinderung die Website nutzen. Die Inhalte sind für alle Menschen besser sichtbar und auch bei schlechten Lichtverhältnissen oder auf kleinen Bildschirmen lesbar.
Das richtige Verhältnis von Schriftfarbe und Hintergrund sollte mindestens 4,5:1 (Level AA) beziehungsweise 7:1 (Level AAA) sein.
Wie sieht es auf deiner Website mit den Kontrasten aus? Du kannst hier die Farbcodes eingeben und die Kontraste überprüfen:
contrast-grid.eightshapes.com/
Oder hier:
barrierefreies.design/werkzeuge/kontrastverhaeltnis-von-farben-pruefen
✅ Alt-Text für Bilder
Der Alternativtext (Alt-Text) beschreibt den Inhalt eines Bildes für Menschen, die es nicht sehen können und einen Screenreader verwenden.
Ein Alt-Text sollte informativ, aber nicht überladen sein und nur bei wichtigen (aber nicht dekorativen) Bildern verwendet werden. Unnötige Begriffe von Bild von oder Foto von brauchst du nicht.
Schlechter Alt-Text: ein Hund (zu allgemein)
Guter Alt-Text: Ein hochkonzentrierter Mops im Anzug sitzt vor einem Laptop
Übrigens: Auch Suchmaschinen wie Google finden Alt-Texte gut. Wer grundsätzlich Alt-Texte nutzt, stärkt damit auch ihr SEO.
✅ Klare Überschriften-Struktur
Eine gut strukturierte Überschriftenhierarchie (h1 – h2 – h3) bei Onlinetexten ist für digitale Barrierefreiheit ebenfalls wichtig.
Menschen mit einer Sehbehinderung nutzen Screenreader, die durch korrekt gesetzte Überschriften navigieren. Ohne sinnvolle Hierarchie wird der Text schwer verständlich.
Das bedeutet, dass Überschriften nach ihrer logischen Funktion gesetzt werden müssen – und nicht etwa aus Designgründen.
Schreibst du einen Onlinetext, sollte dem Titel des Textes h1 zugewiesen werden, der nächsten Überschrift h2, dann h3 und so weiter.
Die Struktur eines Textes könnte zum Beispiel so aussehen:
<h1> Dinge, die Hunde vermutlich über uns denken
<h2> Der seltsame Tagesablauf meiner Menschlinge
<h3> Warum verlassen sie jeden Tag das Haus und kommen erschöpft zurück?
<h3> Sie schlafen in einem riesigen Körbchen, aber ich darf nicht rein?!
<h3> Ihr Ritual, sich mit Wasser und Schaum einzureiben, ist verstörend
<h2> Komische Regeln, die kein Hund versteht
<h3> Warum darf ich nicht auf den Tisch, wenn das Essen doch da ist?
<h3> Sie werfen einen Stock und erwarten, dass ich ihn zurückbringe
<h3> Sie reden mit mir, aber wenn ich antworte, sagen sie "Ruhig!"
<h3> Warum flippen sie aus, wenn ich Gäste freudig anspringe?
… und so weiter.
Weiterer Vorteil: Eine klare Überschriftenstruktur ist auch für die Lesbarkeit eines Onlinetextes und Suchmaschinenoptimierung (SEO) super.
✅ Videos und Audio barrierefrei machen
Wer auf der Website Videos oder Audios nutzt, sollte auch diese barrierefrei gestalten. Denn nicht alle Menschen können Videos oder Audios auf die gleiche Weise konsumieren.
Zentrale Maßnahmen sind:
Untertitel bei Videos
Transkripte bei Podcastfolgen
Audiodeskriptionen
barrierefreie Player
✅ PascalCase für Hashtags nutzen
Für barrierefreie Hashtags wird PascalCase empfohlen, weil Screenreader die Wörter dann besser erkennen und korrekt vorlesen können.
PascalCase bedeutet, dass jedes Wort bei einem Hashtag großgeschrieben wird, zum Beispiel:
#PowergenItalia
#TherapistFinder
#WhoRepresents
#ExpertsExchange
#SpeedOfArt
Wie mensch bei diesen Beispielen unschwer erkennen kann, ist PascalCase nicht nur für Barrierefreiheit wichtig, sondern grundsätzlich für bessere Verständlichkeit sinnvoll.
Wenn alle Anfangsbuchstaben großgeschrieben werden, gibt es auch keine peinlichen Missverständnisse mehr:
#powergenitalia („Powergen Italia“ oder „Powergenitalia“?)
#therapistfinder („Therapist Finder“ oder „The Rapist Finder“?)
#whorepresents („Who Represents“ oder „Whore Presents“?)
#expertsexchange („Experts Exchange“ oder „Expert Sex Change“?)
#speedofart („Speed Of Art“ oder „Speedo Fart“?)
Barrierefreiheit klingt zu kompliziert? Das kann ich gut verstehen. Auch ich habe das Thema viel zu lange prokrastiniert und mir vorgenommen, das jetzt einfach Schritt für Schritt anzugehen.
Eine Website, die helfen könnte, ist Gehirngerecht Digital:
#10 Feministische Selbstfürsorge
Das Leben im Patriarchat kann anstrengend sein. Feminismus bedeutet für mich deshalb nicht nur, sich für die Rechte anderer Frauen einzusetzen, sondern auch, sich regelmäßig Zeit für die eigene Selbstfürsorge zu nehmen.
Mit Selbstfürsorge meine ich übrigens nicht Selfcare. Mir geht es nicht darum, dass sich Frauen nun teure Pflegeprodukte kaufen oder sich ein Schaumbad einlassen müssen (auch wenn das für manche sehr schön sein kann).
Es geht nicht darum, die milliardenschwere Wellness- oder Schönheitsindustrie noch mehr zu unterstützen und noch mehr zu konsumieren. Es geht darum, im Kampf gegen das Patriarchat bei Kräften zu bleiben.
In einer Gesellschaft, die Frauen ausbeutet und überfordert, ist Selbstfürsorge ein politischer Akt.
„Für mich selbst zu sorgen ist kein Luxus, sondern Selbsterhaltung – und das ist ein Akt des politischen Widerstands.“
- Audre Lorde
Dieser politische Akt sieht für jede Frau anders aus. Frauen of Color, queere Frauen, Frauen mit Migrationsgeschichte oder Behinderung müssen mit unterschiedlichen Belastungen fertig werden und haben oft unterschiedliche Strategien, um sich zu stärken.
Selbstfürsorge kann deshalb viele verschiedene Formen annehmen:
✅ Eigene Bedürfnisse wichtig nehmen
Essen
Schlaf
Ruhe
Bewegung
Kreativität
und so weiter
✅ Eigene Grenzen akzeptieren
aus der Hustle Culture aussteigen
weniger arbeiten
Pausen machen
nicht ständig produktiv sein
sich selbst nicht ausbeuten
faire Arbeitszeiten
✅ Sich von Erwartungen an Frauen lösen
sich selbst Priorität einräumen
Nein sagen lernen (im Job, in Beziehungen, in der Familie, zu sozialen Verpflichtungen)
sich nicht mehr für andere aufopfern
✅ Community-Care statt Selfcare
Selbstfürsorge über das Individuum hinaus denken und Netzwerke bilden
sich mit anderen Frauen austauschen
Freundinnen und andere Frauen aktiv unterstützen (zuhören, helfen, sich vernetzen),
✅ Unterstützung holen
Therapie als Akt der Selbstermächtigung nutzen, um alte Muster zu durchbrechen
Selbstfürsorge ist nicht egoistisch – sie ist notwendig, um langfristig für gesellschaftliche Veränderungen zu kämpfen.
Fazit
Es gibt eine Menge Möglichkeiten für Selbstständige und Unternehmer*innen feministisch(er) zu sein.
Zehn Ideen habe ich in diesem Blogartikel vorgestellt:
#1 Bildung, Weiterbildung und Sensibilisierung
#3 Keine unbezahlte Arbeit erwarten – oder selbst leisten
#4 Strukturelle Veränderungen unterstützen
#5 Marketingbotschaften reflektieren
#7 Frauen gezielt Sichtbarkeit schenken
#9 Digitale Barrierefreiheit unterstützen
#10 Feministische Selbstfürsorge
Falls dir die Ideen gefallen, freue ich mich, wenn du den Text mit anderen Menschen teilst.
Hier ist noch einmal der Link zu diesem Text:
alexandrapolunin.com/blog/feministischer-selbststaendig-sein
Hochpreis-Coachings im Female Empowerment: the bad and the ugly
Heute ist Welfrauentag und deshalb können wir ja mal vorsichtig in die Runde fragen: Ist es nicht irgendwie merkwürdig, dass manche Business-Coaches sagen, dass sie mit ihrem Angebot Frauen empowern wollen, dann aber Onlineprogramme anbieten, die sich kaum eine Frau leisten kann? Meine Kritik an Hochpreis-Coachings
Heute ist Welfrauentag und deshalb können wir ja mal vorsichtig in die Runde fragen:
👉 Ist es nicht irgendwie merkwürdig, dass manche Business-Coaches sagen, dass sie mit ihrem Angebot Frauen empowern wollen, dann aber Onlineprogramme anbieten, die sich kaum eine Frau leisten kann? 👈
Ein paar Zahlen:
Das Durchschnittsbruttoeinkommen von Frauen in Deutschland liegt bei 3.699 Euro. (Quelle)
Bundesweit haben nur 10% aller Frauen zwischen 30 und 50 Jahren ein Nettoeinkommen von mehr als 2.000 Euro. (Quelle)
19% der Frauen haben kein eigenes Einkommen und 63% unter 1000 Euro.(Quelle)
Die Durchschnittsrente für Frauen liegt aktuell bei unter 900 Euro im Monat. (Quelle)
Das Armutsrisiko für Frauen liegt aktuell bei 16%. (Quelle)
Bekommt eine Frau ein Kind, verdient sie bis zu ihrem 45. Geburtstag bis zu 251.000 Euro weniger als eine Frau ohne Kinder. (Quelle, S. 112)
Wie kommt man angesichts dieser Zahlen eigentlich auf die Idee, dass Frauen irgendwo einen höheren vier-, fünf- oder sechsstelligen Betrag rumliegen hätten, der nur darauf wartet, in ein „empowerndes“ Coaching „investiert“ zu werden?
Nun soll dieser Text weder ein Plädoyer gegen hochpreisige* Coachings werden noch gegen Female Empowerment als vielmehr eine Erinnerung:
Wer hochpreisige* Onlineprogramme verkauft, macht Produkte nicht für „Frauen“, sondern für einen kleinen Teil wohlhabender Frauen. Das kann man natürlich gerne tun, nur dann hat es eben wenig mit „Female Empowerment“ zu tun.
Wer ausschließlich hochpreisige* Produkte anbietet, kann das Wort „Female Empowerment“ oder „Feminismus“ nicht in den Mund nehmen, ohne „Femwashing“ zu betreiben (= das Pflegen eines feministischen Images bei Handlungen, die diesem Image widersprechen).
Wie hochpreisige Produkte gerechtfertigt werden
Wer selbst mal ein Business-Coaching macht, erfährt früher oder später am eigenen Leib:
Es ist in den letzten Jahren geradezu verpönt geworden, bezahlbare** Kurse und Programme anzubieten. Business-Coaches haben eine Menge Argumente parat, warum wir als Selbstständige und Onlineunternehmer*innen unbedingt hochpreisige Produkte anbieten sollten.
Hier die drei beliebtesten:
#1 „Wenn deine Angebote nicht hochpreisig sind, zeugt das vom ,falschen’ Money Mindset.“
Die Vorstellung, dass wir unser „richtiges“ Money Mindset unter Beweis stellen, wenn unsere Produkte hochpreisig sind, hält sich hartnäckig. Doch: WTF?!
Zunächst: Wer soll überhaupt entscheiden, was ein „richtiges“ und was ein „falsches“ Money-Mindset ist? Der Business-Coach? Und wenn ja – wie kommt er oder sie zu diesem Recht?
Unser Job als Selbstständige und Online-Unternehmer*innen ist es, Preise realistisch zu kalkulieren. So, dass unsere Ausgaben gedeckt sind und wir Gewinn machen können, den wir in Rücklagen, Vorsorge und Co. stecken können.
Preise zu würfeln oder beliebige Zahlen aneinanderzureihen, nur damit der Preis ein bestimmtes Money Mindset an den Tag legt, „schön“ aussieht oder besonders „energetisch“ wirkt („7777 Euro“), ist nicht sehr verantwortungsbewusst gegenüber Menschen, die sich unter Umständen jeden Cent absparen, um sich ein hochpreisiges Produkt zu kaufen. Oder gar anfangen, sich zu verschulden, Kredite aufzunehmen oder Flaschen zu sammeln. (Ja, alles schon gehört.)
#2 „Verlange die Preise, die du wert bist.“
Die Verknüpfung von Geld und Wert ist ein besonders mächtiges Argument. Denn natürlich wollen wir alle wertvoll sein – und dass andere Menschen unseren Wert auf den ersten Blick anhand des Preises unserer Produkte sehen.
Doch die Verknüpfung von Geld und Selbstwert ist problematisch.
Unser Wert als Mensch sollte überhaupt nichts mit Geld zu tun haben und unsere Finanzen sollten für unseren Selbstwert idealerweise überhaupt keine Rolle spielen. (Auch wenn das in der Praxis natürlich leichter gesagt als umgesetzt ist.)
Denn wenn Geld wirklich Ausdruck unseres Selbstwertes wäre, hieße das, dass …
… sich mein Wert als Mensch nach – je nach finanzieller Lage – ändert. Zum Beispiel, dass ich zu Beginn meiner Selbstständigkeit weniger wertvoll war als jetzt.
… der reichste Mann Deutschlands (Dieter Schwarz) 44,7 Milliarden Mal wertvoller ist als jemand, der überhaupt kein Vermögen hat und jeden Euro zweimal umdrehen muss.
… und so weiter
Ist es nicht so viel sinnvoller anzunehmen, dass unser Wert rein gar nichts mit Geld zu tun hat und dass wir, egal, ob unser Produkt 5, 50, 500, 5.000 oder 50.000 Euro kostet, einen unveränderlichen Wert als Mensch haben?
Ich würde noch weitergehen und behaupten:
Ein Selbstwert, der von äußeren Faktoren wie Geld (wie dem Preis unserer Produkte) abhängig ist, ist ein Selbstwert, der einstürzt, sobald sich äußere Bedingungen ändern. Seinen Selbstwert an Geld zu koppeln, führt deshalb zu einem kontingenten Selbstwert – keinem echten.
Stattdessen sollten wir unseren Selbstwert von äußeren Faktoren entkoppeln:
vom Umsatz
von der Anzahl der Kundinnen oder Followern
von Produktivität und von den abgehackten Punkten auf der To-do-Liste
und vielem anderen mehr, das die Hustle Culture uns erfolgreich eingeredet hat.
All diese Dinge sollten idealerweise überhaupt keine Rolle für unseren Selbstwert spielen.
#3 „Ob sich Menschen deine Programme leisten können, ist nicht deine Verantwortung.“
Ich finde: Auch als Selbstständige tragen wir gesellschaftliche Verantwortung. Das gilt umso mehr, wenn wir Reichweite haben und mit unseren Ansichten viele Menschen erreichen.
Wir können – angesichts der vielen individuellen finanziellen Situationen, in denen Frauen sich befinden – vielleicht nicht die individuellen Situationen an sich lösen, ja.
Doch wir tragen mit unseren unternehmerischen Entscheidungen dazu bei, dass sich bestimmte Strukturen und Systeme verfestigen – oder eben nicht.
Wenn wir zum Beispiel in unserem Marketing Frauen als defizitäres Wesen inszenieren und ihnen vermitteln, dass sie nicht gut genug sind, ihnen danach ein passendes hochpreisiges Coaching andrehen, das ihr vermeintliches Problem löst, und sie zusätzlich noch in einen Kredit treiben, weil wir Druck beim Verkaufsgespräch ausüben und keine Finanzierungsmöglichkeiten anbieten, können wir nicht einfach sagen: „Ist nicht mein Problem, wenn du dir das nicht leisten kannst.“
Dann sind wir das Problem.
Wie das Marketing für hochpreisige Produkte oft aussieht (und was es mit Female Empowerment zu tun hat)
Apropos Marketing: Gerade im Hochpreis-Coaching-Bereich werden eine Menge Marketingtaktiken, -tricks und -strategien an den Tag gelegt, die problematisch sind. Schauen wir sie uns im Einzelnen an.
Eigenen Lifestyle zur Schau stellen
Wenn jede*r plötzlich eine Personal Brand ist, heißt das auch, dass die Grenzen zwischen „privat“ und „beruflich“ verschwimmen. Für viele Coaches bedeutet das, Menschen auf Social Media hinter die Kulissen ihres Alltags mitzunehmen und ihnen die Errungenschaften ihres Erfolgs nach dem Motto „Mein Haus, mein Auto, mein Team“ zu präsentieren.
Wir sehen, wie sie vor ihrem Sportauto posen sich fotografieren lassen.
Oder mit ihrer Mastermind-Gruppe Privatjet fliegen. (Und es abfeiern.)
Oder in Luxushotels einchecken, die sich die meisten ihrer Follower niemals leisten können werden.
Oder ganz nach Dubai ziehen, weil sie dort kaum Steuern zahlen müssen dort jeden Tag die Sonne scheint.
Das soll in erster Linie zeigen: „Schau her, wie weit ich es gebracht hab! Schau her, wie erfolgreich ich bin! Schau her, was ich mir leisten kann!“
Doch es ist noch mehr:
Mythos Meritokratie
Diese Zurschaustellung des fancy Lifestyles wird in zweiter Linie genutzt, um in rosa-pastelligen Posts oder extrem „männlichen“ Inspirationszitaten, auf den Löwen abgebildet sind, mantraartig die immergleiche Botschaft zu teilen:
„Wenn ich das geschafft hab, schaffst du es auch!“
„Wenn Kundin X die Erfolge erzielt hat, kannst auch du erfolgreich werden!“
Das ist das typische neoliberale Narrativ, das Grundversprechen des Kapitalismus, der klassische American Dream:
„Du kannst alles schaffen, was du willst, wenn du dich dafür anstrengst.“
Doch die Meritokratie ist – das gilt 2024 mehr denn je – ein Mythos. Es mag sein, dass ein gewisses Maß an Leistung sich positiv auf unser Leben auswirkt und dass wir sogar erfolgreich werden in dem, was wir tun. Doch entscheidender für die meisten Menschen ist laut Statistik immer noch, in welche Familie sie hineingeboren wurden.
So wird Vermögen meist über Generationen vererbt – nicht verdient.
Und auch soziale Mobilität kommt in der Praxis viel seltener vor, als wir es uns wünschen würden. (Die Aufwärtsmobilität lag für Frauen in Deutschland 2021 bei 34% im Westen bzw. 33% im Osten.)
Auch wenn Ausnahmen sicherlich die Regel bestätigen: Am wahrscheinlichsten ist das Szenario, dass nicht die „richtige“ Business- oder Marketingstrategie, das „richtige“ Mindset und erst recht nicht das „richtige“ Onlineprogramm Einfluss darauf hat, ob wir erfolgreich werden oder nicht, sondern unsere Herkunft.
Das ist traurig und ein Skandal, keine Frage. Doch es ist ein Fakt, den wir, wenn wir Marketing machen, auf jeden Fall kennen und beachten sollten und vor allem: nicht einfach das Gegenteil behaupten, weil es gerade so schön ins Marketing passt.
Wenig Verständnis für die Lebensrealitäten anderer Menschen
Mit dem Meritokratie-Mythos ist oft auch ein mangelndes Verständnis für die Lebensrealitäten anderer Menschen verbunden. Denn auch wenn Business-Coach Tobi, 23, es vielleicht nicht glauben mag, aber:
Für die meisten Menschen dieser Erde gibt es aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, körperlichen Verfassung, ihrem Aussehen oder sozioökonomischem Hintergrund gewisse Grenzen, Herausforderungen, Diskriminierungen oder Behinderungen. Da können sie noch so viel „wollen“ und „Affirmationen aufsagen“ und „an ihrem Mindset arbeiten“.
Ich erspare mir an dieser Stelle eine ausufernde Liste, doch nur so viel: Phrasen wie
„Ausrede“
„Falsches Mindset“
„Es ist leicht, das zu tun.“
sind nichts weiter als ein Zeichen der Privilegien derjenigen, die sie unreflektiert äußern, und sollten im Marketing 2024 nun wirklich nicht mehr verwendet werden. Erst recht nicht, um hochpreisige Coachings an die Frau zu bringen.
Druck und Psychospielchen
Du siehst vielleicht: Mit „Female Empowerment“ hat diese Art von Marketing nur wenig zu tun, denn es geht hier ja nicht darum, alle (oder möglichst viele) Frauen erfolgreich zu machen, sondern nur diejenigen, die bereit sind, diese hohen Preise zu zahlen.
Und da sind wir auch schon beim nächsten Punkt: Wie bringen diese Business-Coaches Frauen eigentlich dazu, ihre Preise zu zahlen?
Zunächst einmal, indem sie Menschen in einen ausgeklügelten Sales Funnel packen, aus dem es dank künstlicher Verknappung, Druck und FOMO kaum einen Weg mehr nach draußen gibt.
Nicht selten werden zunächst neue Probleme, neue Bedarfe kreiert, die vorher so noch nicht da waren.
Wir alle kennen diese Werbungen:
„Du wolltest schon immer schneller die Schuhe binden als deine Nachbarin? Mit MEINER METHODE kannst du sie in nur sieben Wochen um drei Sekunden übertrumpfen! Ich stehe jeden Morgen auf und bin überglücklich, weil ich weiß, wie ich mir mit der richtigen Methode die Schuhe binde – ich bin endlich ganz, geheilt, erleuchtet – und mit meinem nagelneuen Onlineprogramm ‚Erfolgreich Schuhebinden in 7 Wochen‘ kannst du es für nur 7777,- Euro nun auch! Aber weil ich WIRKLICH will, dass sich was bei dir ändert, habe ich dir meine wichtigsten Tipps in eine Masterclass gepackt, für die du dich JETZT kostenlos anmelden kannst. Aber SCHNELL, es melden sich so viele Menschen an, dass ich die Türen für mein automatisiertes Webinar BALD SCHLIESSEN muss! Also melde dich am besten jetzt sofort an, um ja NICHTS ZU VERPASSEN, und VERÄNDERE DEIN LEBEN für immer!“
Und wenn Menschen dann anbeißen – denn wer will nicht ganz, geheilt, erleuchtet sein? – und sich für die Masterclass anmelden, kommen sie in einen aggressiven Strudel aus Retargeting-Ads und Verkaufsmails. Und wenn sie dann einem 1:1-Verkaufsgespräch zustimmen, bekommen sie meist folgende Botschaften zu hören:
„Du musst Vertrauen haben!“
In den Coach. In die Methode. Ins Universum. Wenn du den Preis für das Coaching anzweifelst, hast du kein Vertrauen, und wie willst du mit dieser Einstellung überhaupt erfolgreich werden?
„Du musst in dich investieren!“
Wenn du zehntausend Euro für mein Coaching ausgibst in dich investierst, mit dem Wissen dann aber hunderttausend Euro verdienst, hast du das Geld schneller wieder drin, als du „Manipulation“ sagen kannst. Was, du brauchst eine Garantie? Guck doch mich und meinen Lifestyle an, Baby! Ich bin der beste Beweis dafür, dass du alles erreichen kannst, wenn du nur willst. Und überhaupt: Hast du denn überhaupt kein Vertrauen ins Universum?!
„Es geht nur mit meinem Programm!“
Du willst ohne mein Programm ein Business aufbauen / Marketing machen / erfolgreich werden / ein Trauma heilen? LOL. Viel Glück! Weißt du denn nicht, dass ICH bereits dort bin, wo du gerne sein möchtest? Dass ICH bereits alle Schritte gegangen bin, die noch vor dir liegen? Wenn du jetzt Geld für andere Kurse, Methoden oder Mentor*innen ausgeben würdest, wärst du schön blöd!
„Kein Geld ist eine Ausrede!“
Was, du hast kein Geld? Weißt du: Es ist nicht wirklich Geld, es ist nur das, was wir darüber denken. Für mich ist Geld einfach nur Energie. Energie fließt zu mir und wieder von mir weg. Ein natürlicher Lauf der Dinge. Jeder hat Energie – auch du!
Wenn du es wirklich wollen würdest, wenn du es wirklich ernst meinen würdest, dann würdest du deine Energie in mein Programm stecken. Ich habe Kunden, die nehmen sogar einen Kredit auf, weil sie ALL IN gehen.
„Der Preis steigt!“
Entscheide dich schnell, denn der Preis steigt – täglich! Heute kostet das Schuhebinden-Coaching 7777,- Euro, morgen 8888,- Euro, übermorgen 9999,- Euro und in drei Tagen 123.456,- Euro. Warum? Weil ich es kann!
Neben diesen Psychospielchen zeichnet sich das Marketing der Hochpreis-Branche oft durch mangelnde Transparenz aus.
Was nun genau im Coaching enthalten ist, welche Inhalte vermittelt werden oder wie eine Zusammenarbeit genau aussieht, wird oft unter Verschluss gehalten, denn: Du musst Vertrauen haben! Nachfragen oder gar Kritik äußern? Nicht erwünscht.
Früher, als ich noch auf Social Media und insbesondere in Facebook-Gruppen unterwegs war, war ich oft live dabei, als kritische Kommentare gelöscht („Das hier soll ein positiver Ort sein!!!“) und Menschen, die nachfragten, zum Schweigen gebracht wurden.
Nicht selten entwickelte sich in diesen Gruppen eine merkwürdige Dynamik: Die Coachin, die für ihre Coachings einen sechsstelligen Betrag verlangte, als Marketing lediglich Fotos von sich im teuren Porsche postete und sonst nur wenig über die Inhalte des Coachings preisgab, wurde von den Facebook-Gruppen-Mitgliedern leidenschaftlich in Schutz genommen. Die Menschen hingegen, die nachfragten oder Kritik äußerten, wurden bloßgestellt („Das sagt ja viel über dein eigenes Mindset aus!!!“), beleidigt und – man könnte vielleicht sagen – letzten Endes rausgemobbt.
Merke: In der Coaching-Bubble dürfen Frauen anscheinend alles (Porsche fahren, sich teure Villen mieten, Privatjet fliegen, sechsstellige Preise für ihre Coachings verlangen) – außer kritisch nachzufragen.
Das ist nicht Female Empowerment. Das sind sektenartige Strukturen inkl. Brainwashing.
Der Elefant im Raum: Wie können wir mit unseren Angeboten nun Frauen stärken?
Und doch gibt es einen Elefanten im Raum (er heißt Hugo), über den ich ebenfalls sprechen möchte.
Denn natürlich ist es absolut fein,
als Selbstständige oder Onlineunternehmer*in Geld für Beratung, Produkte, Coachings etc. zu bekommen (schließlich können wir alle nicht von Luft und Liebe leben)
ggf. auch viel Geld für Beratung, Coachings etc zu bekommen, weil viel von unserer Zeit, unserem Wissen, Können etc. in den Produkten steckt
und dabei gleichzeitig Frauen stärken zu wollen (schließlich ist das ein notwendiges Anliegen – wenn wir in dem Tempo so weitermachen, sind wir erst in 131 Jahren gleichberechtigt)
Die Frage ist: Wie können wir das tun, ohne dass es zu einem Widerspruch („Femwashing“) kommt?
Vielleicht so:
Wertschätzendes Marketing
Wir könnten damit starten, Frauen in unserem Marketing wertschätzend zu behandeln, indem wir folgende Dinge – für mich inzwischen absolute Red Flags – vermeiden:
Mangelnde Informationen über Ablauf, Inhalte und Preis des Coachings
Unhaltbare und pauschale Versprechen („Nach meinem Coaching hast du sechsstellige Launches“)
Heilversprechen, die laut HWG verboten sind
Schwammige Versprechen wie „Transformation“
eine „Geheimstrategie“, die angeblich für alle funktioniert, unabhängig von ihrer individuellen Situation
Hohe Preise, die – selbst bei jahrelanger Erfahrung – jeglicher wirtschaftlicher Grundlage entbehren
Angel Numbers wie 7777,- Euro
Aggressives Marketing mit ausgeklügelten Funnels und Verkaufsmails
Schwammige Begriffe wie „Energie“ (im esoterischen Sinn, nicht im Sinne von „Kraft“), „Universum“ etc.
Gezieltes Auslösen von FOMO
Aggressiven Einsatz von Testimonials
keine Zeit, um eine Nacht drüber zu schlafen
Obsession mit Zahlen („Sechsstelliger Launch“, „Siebenstelliges Business“, „Zehntausend Follower“)
Lovebombing und keine Wahrung von Grenzen („Hallo du Liebe“, „Hallo mein Herz“)
In Strukturen denken, nicht in individueller Selbstverwirklichung
Auch wenn es schön ist, dass es einzelne Frauen „schaffen“ und erfolgreich werden mit dem, was sie tun, geht es im Feminismus darum, dass es alle (oder zumindest möglichst viele) Menschen „schaffen“. Unabhängig von ihrem Geschlecht, sexueller Identität, Herkunft, Behinderung etc.
Nur wenn es für alle Menschen die gleichen Chancen gibt, haben wir es „geschafft“ – nicht wenn einzelne Frauen wie Sheryl Sandberg oder Angela Merkel mal für wenige Jahre an der Spitze eins Unternehmens oder Staates stehen, wir mal für ein paar Jahr einen Schwarzen Präsidenten im mächtigsten Land der Welt haben oder wenn hundert Onlineunternehmerinnen siebenstellig im Jahr verdienen.
Denn auch der Trickle-down-Effekt, die Hoffnung, dass sich Geld, Macht oder was auch immer von „oben“ nach „unten“ verteilt, ist ein Mythos.
Deshalb muss die Frage nicht lauten: „Wie kann ich mit dem, was ich tue, einzelne (weiße, wohlhabende, hetero) Frauen dabei unterstützen, erfolgreich zu werden?“
Sondern: „Was kann ich für möglichst viele Frauen tun?“
Wie das aussehen mag, mag von Coach zu Coachin und Angebot zu Produkt variieren. Deshalb müssen wir anfangen, mehr darüber nachzudenken und zu reden und Dinge auszuprobieren.
(Und wie ich es persönlich handhabe, werde ich in einem separaten Blogartikel nächste Woche erzählen.)
Walk the walk
Es geht nicht darum, theoretisch für Female Empowerment zu sein, sondern das Gesagte auch in der Praxis umzusetzen, zum Beispiel indem wir
die Frauen, mit denen wir zusammenarbeiten, angemessen und pünktlich bezahlen und wertschätzen
für Diversität sorgen, sollten wir ein Team haben
in unserem Marketing Frauen nicht als defizitäres Wesen inszenieren
etc.
Nur wenn das, was wir nach außen kommunizieren, zu dem passt, was wir in unserem Unternehmen leben, können wir guten Gewissens behaupten:
Mir ist die Stärkung von Frauen ein Herzensanliegen.
Anmerkungen
*Mir ist natürlich bewusst, dass „hochpreisig“ ein höchst subjektiver Begriff ist, der für jede*n etwas anderes bedeutet. Ich verstehe in diesem Text unter „hochpreisig“ einen Preis, den sich eine Frau mit einem Durchschnittsgehalt in Deutschland statistisch nur schwer leisten könnte.
**Dasselbe gilt für „bezahlbar“.
Marketing ohne Manipulation, Druck und Psychotricks – ein Leitfaden
Marketing ohne Manipulation – wie geht das genau? Darauf möchte ich in diesem Blogartikel eingehen und zwölf Grundsätze für ein Marketing ohne Druck und Psychotricks mit dir teilen.
Hier sind zwölf Grundsätze für ein wertschätzendes Marketing ohne Manipulation, Druck und Psychotricks:
#1 Wir lassen Menschen die Wahl
Downloads an Newsletter koppeln
Webinare an Newsletter koppeln
Wartelisten an Newsletter koppeln
Käufe an Newsletter koppeln
Es ist inzwischen völlig normal geworden, dass wir – egal, wofür wir uns anmelden – automatisch einen Newsletter bekommen, sodass wir gar nicht mehr in Frage stellen, ob das überhaupt okay ist oder ob das nicht auch anders ginge.
Ich bin dafür, nicht mehr einfach so anzunehmen, dass jemand unseren Newsletter bekommen will, nur weil er oder sie sich mal zu einem unserer Webinare angemeldet hat.
Lassen wir Menschen doch stattdessen die Wahl: Sie können ein Webinar von uns besuchen und sich dabei für unseren Newsletter anmelden – müssen es aber nicht.
Aus meiner Sicht ist nämlich nicht das Koppeln an sich problematisch, sondern weil es zum einen ungefragt passiert und zum anderen keine andere Handlungsoption zur Verfügung steht.
Es spricht aus meiner Sicht nämlich überhaupt nichts dagegen …
beim Bestellformular auf Digistore oder Elopage eine Checkbox zu aktivieren und Menschen die Möglichkeit zu geben, sich beim Kauf gleichzeitig auch zum Newsletter anzumelden
Menschen, die sich für ein Webinar oder ein anderes Online-Event angemeldet haben, nach dem Event eine Mail zu schicken und sie zu fragen, ob sie in Zukunft auch den Newsletter bekommen wollen
Das ist kein Zwang, sondern ein Angebot, das angenommen werden kann oder auch nicht.
Natürlich bedeutet das für uns Unternehmer*innen einen Mehraufwand. Und natürlich geht Listenwachstum so langsamer als mit ungefragtem Koppeln.
Doch es ist so: Wenn wir unsere E-Mail-Liste füllen, indem wir Menschen keine Wahl lassen und sie ungefragt hinzufügen, haben wir eine Menge Leute drin, die gar nicht explizit „Ja“ zu unserem Newsletter gesagt haben und sich vermutlich sowieso bald wieder abmelden werden. Und wem ist damit geholfen?
#2 Wir lassen Zeit für bewusste Kaufentscheidungen
Natürlich können wir als Unternehmer*innen nicht nur von Luft und Liebe leben, sondern müssen Geld verdienen und unsere Produkte und Dienstleistungen verkaufen.
Doch das sollte kein Freifahrtschein sein, Menschen als Objekte zu behandeln und sie in unsere Programme „hineinzufunneln“.
Wenn wir ein Webinar halten, am Ende unser Onlineprogramm pitchen und Menschen genau drei Tage Zeit lassen, sich für oder gegen ein hochpreisiges Coaching zu entscheiden, ist das eine Menge Druck.
Und es wird nicht leichter, wenn wir dabei einen Bonus versprechen, der genau 24 Stunden gültig ist. Oder an einem Tag drölfzig E-Mails mit der immer gleichen Botschaft schicken: Die „Türen“ schließen gleich! Meld dich jetzt an! Sonst verpasst du was!
Lasst uns stattdessen Türen öffnen und unsere Pitches als Angebote verstehen.
Lasst uns Webinare oder andere Online-Events nach dem Motto „Hier ist das, was ich weiß. Und hier ist eine Möglichkeit, mit mir zusammenzuarbeiten.“ gestalten.
Ohne Zeitdruck. Ohne Psychospielchen. Und ohne repetitive Mails.
Werden sich dadurch weniger Menschen für unsere Onlineprogramme anmelden? Vermutlich.
Aber es werden Menschen sein, die sich aus freien Stücken für uns entschieden haben und perfekt zu uns und unseren Werten passen.
Und ist das nicht eine großartige Vorstellung und die beste Basis für eine gelungene Zusammenarbeit?
#3 Wir machen Preise ohne Gedöns
Hören wir doch endlich auf, bei unseren Preisen zu tricksen.
Hören wir doch endlich damit, „charmante“ Preise zu verwenden, die völlig willkürlich auf „9“ oder „7“ enden, um das Produkt günstiger erscheinen zu lassen.
Hören wird doch endlich auf damit, Menschen mit Rabatten in unsere Programme zu locken.
Arbeiten die meisten Onlineunternehmer*innen mit solchen Preistricks? Oh ja.
Doch das sollte uns nicht davon abhalten, einen anderen Weg einzuschlagen und den „richtigen“ Preis zu kommunizieren – egal, wie früh, spät, schnell oder langsam sich Menschen für einen Kauf entscheiden.
Außerdem ist es auch für mich als Onlineunternehmerin herrlich entspannend, meine Preise ohne Gedöns zu gestalten und mir keinen Kopf mehr über spezielle „Frühbucherpreise“, „Webinarpreise“, „Early-Bird-Preise“ oder „Black-Friday-Aktionen“ mehr machen zu müssen.
#4 Wir ermöglichen gesellschaftliche Teilhabe
Apropos Preise: Selbst wenn unser Produkt nach bestem Wissen und Gewissen kalkuliert wurde und jeden einzelnen Cent wert ist, können sich nicht immer alle Menschen unsere Angebote leisten.
Und das hat auch nicht zwingend etwas mit einem „falschen Mindset“ oder „zu wenig Commitment“ zu tun, sondern schlicht und einfach mit der Tatsache, dass unterschiedliche Menschen über unterschiedliche Privilegien und damit finanzielle Ressourcen verfügen. (Und mit Fakten wie Inflation und sinkender Kaufkraft.)
Die Gründe sind vielfältig – und natürlich sind wir für die Finanzen unserer Kund*innen nicht verantwortlich.
Aber es heißt nicht, dass wir diese Situation noch mehr ausnutzen und mit Aufpreisen bei Ratenzahlungen arbeiten sollten.
Sehen wir den buchhalterischen Mehraufwand und das Risiko eines Zahlungsausfalls doch als das, was es ist: Ein Beitrag, dass sich auch Unternehmer*innen mit weniger finanziellen Mitteln ihre beruflichen Ziele erreichen.
#5 Wir triggern keine Ängste
Jede Kaufentscheidung ist ein emotionaler Vorgang, heißt es. Deshalb sollten wir im Marketing auch Emotionen wecken.
Ob alleine das schon problematisch ist, würde an dieser Stelle vermutlich zu weit führen. Mit Sicherheit problematisch ist es, wenn Marketing dazu genutzt wird, Urängste der Menschen zu triggern.
Die Angst, nicht dazuzugehören, zum Beispiel.
Oder die Angst, etwas Wichtiges zu verpassen.
So ist FOMO im Marketing nicht etwa eine super-duper „Strategie, die die Verkäufe ankurbelt“, sondern eine Strategie, die eine zutiefst menschliche Veranlagung für Profit ausnutzt.
Manchmal ist es hilfreich, sich zu fragen, wie man das, was man da gerade schreibt, selbst auffassen würde:
Würde das einen selbst stressen und unter Druck setzen? Würde es einen unruhig werden lassen?
Wenn ja, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es anderen Menschen ähnlich gehen könnte.
Hören wir doch auf, mit den Ängsten der Menschen zu spielen, als wären sie Pingpongbälle, die wir beliebig durch die Gegend werfen könnten.
#6 Wir säen Samen und legen Spuren
Erzeugt das Wort Reichweite bei dir genau so viel Druck wie bei mir?
Ich habe für mich festgestellt, dass mich alleine schon der Gedanke, meine „Reichweite vergrößern“ zu müssen, stresst und dass es mich mehr mit Zahlen und Funnels beschäftigen lässt als mit Menschen, Werten und Themen.
Inzwischen habe ich den Begriff der Reichweite ersetzt durch Samen säen.
Wenn ich in einem Podcast interviewt werde, habe ich einen Samen gesät. Ich weiß nicht, wie lange der Samen brauchen wird, damit eine Pflanze daraus wächst – einen Tag, eine Woche, einen Monat, ein Jahr – aber ich weiß, dass die Zeit für mich arbeitet.
Möglicherweise wird sich schon heute jemand die Podcastfolge anhören und neugierig auf meiner Website landen. Möglicherweise wird sich aber auch erst nächste Woche jemand einen meiner Onlinekurse holen und mir daraufhin eine E-Mail schreiben. Oder vielleicht wird sich auch erst in einem Monat oder in einem Jahr jemand melden und sagen:
„Eine Freundin hat die Podcastfolge mit dir gehört und mich dir empfohlen – und hier bin ich nun.“
Wir können die Ergebnisse unserer Bemühungen, „Reichweite“ zu erzeugen, nie mit Gewissheit vorhersagen. Und meinem Verständnis nach müssen wir es auch nicht.
Es reicht, wenn wir uns auf unsere Themen besinnen und Samen säen – dann kommen die Früchte mit der Zeit von alleine.
#7 Wir arbeiten ohne versteckte Kosten
Was ich völlig unproblematisch finde und auch selbst mache, ist die glasklare Kommunikation eines Angebots nach einer Zusammenarbeit:
„Hey, dir hat das Programm gefallen und du möchtest ein zweites Mal dabei sein? Hier kannst du deinen Platz buchen.“
Völlig anders sieht es allerdings für mich aus, wenn während eines Onlineprogramms plötzlich klar wird, dass die Teilnehmer*innen für alles, womit für das Programm geworben wurde, zusätzlich zahlen müssen. Das ist nicht in Ordnung.
Denn nicht selten befinden sich die Teilnehmer*innen sogar in einer vulnerablen Lage. Sie haben sich „nackig“ gemacht und nun sagt die Coachin: „Ja, schlimmes Problem. Um das zu lösen, solltest du am besten eine zusätzliche Einzelsitzung bei mir buchen.“ Und schwupps, ist die Coachin wieder um mehrere tausend Euro reicher.
Lasst uns also Onlineprogramme erstellen, die für sich stehen und Menschen bereits wertvolle Lösungen bieten. Und wer weiß? Vielleicht arbeiten die Teilnehmer*innen ja sogar gerne ein zweites Mal mit uns zusammen – freiwillig.
#8 Wir sind ehrlich und transparent
Neulich hat mir jemand erzählt, dass sie in den ersten Wochen nach dem Kauf eines Onlineprogramms feststellen musste, dass die gemeinsamen Calls gar nicht von der Onlineunternehmerin, bei der sie gekauft hat, betreut wurden, sondern von einer Mitarbeiterin.
Nun spricht natürlich überhaupt nichts dagegen, ein Team zu haben und Mitarbeiter*innen in die Betreuung der Teilnehmer*innen einzubinden. Allerdings ist es eine fragwürdige Strategie, das nicht vor dem Kauf so zu kommunizieren.
Wenn eine virtuelle Assistenz nicht bloß ergänzend in der FB-Gruppe nach dem Rechten sieht, sondern ausschließlich, will ich das vor dem Kauf wissen.
Wenn Menschen dir zwar Geld für dein Onlineprogramm zahlen, dich aber in den gemeinsamen Calls nur in der ersten Woche zu Gesicht kriegen, auch.
Und wer das nicht macht, wer seine Onlineprogramme auf Kosten von Ehrlichkeit und Transparenz skaliert, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er die potentiellen Käufer*innen nicht bewusst damit täuscht.
Lasst uns Menschen stattdessen Wertschätzung entgegenbringen und transparent sein, wie viel oder wenig sie von uns in unseren Programmen sehen werden, sodass sie selbst entscheiden können, ob ihnen das Programm den Preis wert ist.
Was sich übrigens hervorragend mit Transparenz kombinieren lässt, ist das Prinzip von Working out loud, sprich: Wir arbeiten nicht für uns in unserem stillen Kämmerlein, sondern lassen unsere Community an Gedanken, Prozessen und Hintergründen teilhaben.
Indem wir beispielsweise mal in einem Blogartikel erzählen, warum jetzt Mitarbeiterin X die Kursteilnehmer*innen betreut oder Mitarbeiterin Y jetzt die Calls zu Thema Z durchführt (möglicherweise ist sie in einem bestimmten Thema nämlich viel tiefer drin als du).
#9 Wir verzichten auf künstliche Verknappung
Marketing ohne Manipulation und künstliche Verknappungen sind keine gute Kombination.
Wenn ich also schon im Juli weiß, dass ich ab September ein bestimmtes Onlineprogramm anbieten will, aber erst kurz vorher mit einem Knall die Türen öffne – ist das eine Form der Verknappung, die streng genommen nicht nötig wäre und die natürlich viel eher dazu führt, dass ich in dieser kurzen Zeit mit Druck und Psychotricks arbeite, um das Programm zu füllen.
Ähnlich sieht es aus, wenn wir uns willkürlich Boni überlegen, die es für eine willkürliche Anzahl an Stunden kostenlos dazugibt. Oder Rabatte, die nur gültig sind, solange das Webinar noch läuft.
Künstliche Verknappung erzeugt (unnötigerweise) Druck und führt nicht selten dazu, dass auch wir Onlineunternehmer*innen Launches als unglaublich anstrengend empfinden und gleich nach dem Launch schon urlaubsreif sind.
Wenn ich in meinem Programm allerdings nur 12 Plätze anbiete, weil ich weiß, dass das die Grenze ist, bei der ich individuelle Unterstützung garantieren kann, ist es keine künstliche Verknappung, sondern Verknappung mit einem guten, nachvollziehbaren Grund.
Ebenso wenig finde ich es problematisch, einen einheitlichen Starttermin zu haben und zu kommunizieren, dass man Anmeldungen nur bis zu diesem Datum annimmt, um eben gemeinsam als Gruppe starten zu können.
Natürlich brauche ich für solche natürlichen Verknappungen Klarheit darüber, wo meine persönlichen Grenzen sind.
Wie viele Stunden kann ich am Tag arbeiten, ohne auszubrennen?
Wie viele Menschen kann ich realistischerweise gleichzeitig unterstützen?
Wie viele Plätze kann dieses Programm haben, sodass eine gute Betreuung gewährleistet ist?
Und wenn ich das weiß, spricht aus meiner Sicht nichts dagegen, es auch offen so – „working out loud“-mäßig – zu kommunizieren. So wie Hotels unaufgeregt kommunizieren, wie viel freie Betten sie haben.
#10 Wir stehen für Werte ein
Die meisten Selbstständigen wollen wachsen und es spricht ja zunächst einmal auch gar nichts dagegen:
Mehr Menschen auf der Website und auf der E-Mail-Liste bedeuten in vielen Fällen auch mehr zahlende Kund*innen und damit mehr Geld – für ein höheres Gehalt, für größere Rücklagen, für mehr Investitionen oder einfach nur für ein schöneres Leben.
Es spricht überhaupt nichts dagegen, mehr zu wollen. – Doch welche Werte haben wir neben Wachstum noch?
Wenn wir wachsen und skalieren, ohne No-Gos für uns zu definieren, überschreiten wir nicht selten auch ethisch-moralische Grenzen.
Wollen wir wachsen und in Kauf nehmen, dass wir dabei massiv der Umwelt schaden?
Wollen wir wachsen und in Kauf nehmen, dass wir dabei andere Menschen belügen oder die Fakten zumindest so drehen, dass sie noch besser zu unserer Message passen?
Wollen wir wachsen und in Kauf nehmen, dass wir die Not der Menschen ausnutzen? Oder sie dazu ermuntern, Kredite aufzunehmen, um sich unsere Programme leisten zu können? Oder gar künstlich einen Bedarf kreieren, den es so gar nicht gibt?
Lasst uns also eine Grenze fürs Wachstum definieren – und auch entsprechend so handeln. Hier findest du eine Liste von Werten, an denen du dich in deinem Marketing orientieren kannst.
#11 Wir prüfen unsere Definition von Erfolg
Ich höre jetzt quasi schon die Stimmen, die da zweifelnd flüstern. „Hmmmm, und mit diesem Marketing kann man Erfolg haben?“
Ich weiß es nicht.
Ich weiß es deshalb nicht, weil ich nicht weiß, was „Erfolg“ für dich bedeutet.
Verstehst du „Erfolg“ auf einer rein finanziellen Ebene, werden dir mit einem Marketing ohne Druck sicherlich einige Käufer*innen „durch die Lappen gehen“. Diejenigen nämlich, die gelockt und überredet werden wollen. Und die nur dann kaufen, weil sie FOMO bekommen, wenn sie nur daran denken, dass „die Türen“ bereits in drei Tagen wieder schließen.
Ist „Erfolg“ für dich mehr als nur Umsatz und ist es für dich nicht nur wichtig, Menschen zu erreichen, sondern die richtigen, sieht es schon wieder anders aus. Denn ein Leben, in dem deine Kund*innen nett, motiviert und wertschätzend sind und sich zu 100% aus freien Stücken für dich entschieden haben, hört sich für mich nach einem verdammt guten an.
#12 Wir denken langfristig
Und da sind wir auch schon beim letzten Punkt angelangt: der Langfristigkeit.
Die Sache ist nämlich die: Manipulation funktioniert – aber nur kurzfristig.
Vielleicht gelingt es uns, unsere Umsatz- und Marketingziele zu erreichen und abends eine Flasche Champagner zu köpfen.
Doch was ist, wenn …
sich die Menschen, die bei uns gekauft haben, in Wahrheit zu der Entscheidung gedrängt gefühlt haben?
die Menschen in unseren Programmen gar nicht wirklich motiviert sind und deshalb keine guten Ergebnisse vorweisen?
wir den Druck, den wir auf andere Menschen ausgeübt haben, selbst in unserem Körper spüren, speichern und so immer mehr erschöpfen?
Was bedeuten diese manipulativen Taktiken für uns, unser Unternehmen und die Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, auf lange Sicht? Diese Frage darf jede*r für sich beantworten.
Hast du noch weitere Fragen zum Thema Marketing ohne Manipulation? Vielleicht wirst du hier fündig
Ist Marketing nicht „von Natur aus“ Manipulation?
Natürlich könnte man sagen: Kommunikation (und damit Marketing) ist immer ein Stück weit „manipulierend“. Und ja: Wenn ich mit anderen Menschen rede oder einen Text schreibe, mit dem ich etwas bewirken will, nehme ich bewusst oder unbewusst immer auch Einfluss auf die Gedanken, Gefühle und damit Entscheidungen der Menschen. Wir könnten „Manipulation“ so verstehen. Doch das wäre aus meiner Sicht ein sehr weiter Manipulationsbegriff.
Manipulatives Marketing meint für mich mehr. Es beinhaltet nicht nur Kommunikation und Selbstausdruck, sondern auch das Ausnutzen der menschlichen Psyche im Namen des Wachstums. Es beinhaltet nicht nur das Über-ein-Angebot-Sprechen, sondern ein Verkaufen um jeden Preis ohne Rückkopplung an Werte.
Bemühe ich mich, Menschen bei ihrer Kaufentscheidung zu unterstützen, indem ich in meinem Marketing zum Beispiel deutlich mache, wofür ich stehe und welche Werte ich vertrete, für wen das Produkt richtig ist (und für wen nicht) oder welche Ergebnisse ich erwarten kann (und welche nicht), ist das aus meiner Sicht Transparenz – und keine Manipulation.
Ist ein Sales Funnel immer manipulierend?
Aus meiner Sicht ist es völlig unproblematisch, sich die Customer Journey zu durchdenken und sich zu fragen: Welche Stationen nehmen Menschen, bevor sie schließlich bei mir kaufen?
Wie will ich gefunden werden? (zum Beispiel durch meinen Blog)
Wie will ich mit ihnen in Kontakt kommen? (zum Beispiel in meinem Newsletter)
Wie will ich über meine Angebote sprechen? (zum Beispiel in Blog und Newsletter)
Die Antworten auf diese Fragen helfen mir dabei, Klarheit in meinem Marketing zu bekommen und zu entscheiden, wo ich meine Zeit, Energie und mein Geld investieren möchte.
Im Grunde kann ein „Sales Funnel“ durchaus etwas Ähnliches meinen, doch für mich ist das Menschenbild hinter dem Begriff ein anderes:
Da ist der Verkaufsprozess nicht etwa eine Reise und die anderen Menschen die Akteure, die selbstbestimmt und in ihrem Tempo den Weg zu mir finden dürfen. Bei einem Sales Funnel werden andere Menschen dem Begriff nach in einen Trichter gesteckt, sie fallen quasi durch, sind mehr passive Objekte als selbstbestimmte Akteure. Und am Ende des Trichters müssen sie durch die enge Öffnung gequetscht werden.
Das ist für mich nicht unbedingt eine wertschätzende Haltung gegenüber Menschen. Deshalb nutze ich den Begriff „Sales Funnel“ nicht mehr und spreche lieber von „Customer Journey“.
Ist Werbung immer Manipulation?
Auch hier kommt es aus meiner Sicht darauf an, wie eng oder weit wir den Begriff der Manipulation fassen.
Natürlich geben wir durch unsere Ads etwas Bestimmtem – einem Blogartikel, einem Webinar, einem Produkt – mehr Aufmerksamkeit, als es ohne die Ad bekommen würde. Ist diese Sichtbarkeit alleine schon Manipulation? Aus meiner Sicht nicht unbedingt.
Die Onlineunternehmerin, die ihr E-Book bewirbt, manipuliert meinem Verständnis nach also nicht zwingend, nur weil sie auf Instagram eine Ad schaltet.
Entscheidender sind für mich folgende Fragen:
Was bewerben wir? Bedienen wir mit unserem Angebot Wünsche von Menschen oder kreieren wir Sehnsüchte, die ursprünglich gar nicht da waren?
Wie bewerben wir es? Machen wir in unserer Ad „nur“ ein Angebot oder nutzen wir in unseren Werbebotschaften FOMO, um Angst vorm Verpassen zu erzeugen?
Was passiert nach der Ad? Können die Menschen einfach nur die beworbene Handlung ausführen oder kommen sie in ein ausgeklügeltes System von Tripwires, Upsells, Downsells und aggressiven E-Mail-Marketing, aus dem es kaum ein Entkommen mehr gibt?
Darüber hinaus sind mit Werbung natürlich auch viele ethische Fragen verbunden:
Welches System unterstützen wir, wenn wir eine Ad auf einer bestimmten Plattform schalten?
Bedienen wir ausgediente Klischees, die keinen Platz mehr in unserer Gesellschaft haben sollten?
Werten wir vielleicht sogar einzelne Gruppen von Menschen ab, wenn wir die Anzeige auf eine bestimmte Art und Weise gestalten?
Hier sind noch einmal die zwölf Grundsätze für ein Marketing ohne Manipulation
Preise ohne Gedöns
Warum machen wir unsere Preisgestaltung mit Rabatten, Aktionen und Frühbucherpreisen nur so unfassbar kompliziert? Mein Plädoyer für Preise ohne Gedöns und gegen Rabatte, charmante Preise und Co.
Letztes Jahr hatte ich eine „Frühlingsaktion“ am Laufen, bei der es für mein damaliges Blogmentoring 10% Rabatt gab, wenn es bis zu einer bestimmten Deadline gekauft wurde.
Mir wird schon fast beim Schreiben dieses Satzes schwindelig, und als eine Interessentin mich fragte, wie denn der Preisunterschied genau wäre, wenn sie das Mentoring mit Einmalzahlung oder in Raten mit oder ohne Rabatt kaufen würde, wurde mir noch schwindeliger.
Mann, hatte ich eine komplizierte Preisstruktur für mein Angebot!
Es gab einen regulären Preis als Einmalzahlung. Es gab einen etwas höheren Preis, falls Ratenzahlung gewünscht wurde. Und in der „Frühlingsaktion“ dann 10% Rabatt auf den regulären Preis als Einmalzahlung. Und schließlich 10% Rabatt auf den etwas höheren Preis, falls Ratenzahlung in der Frühlingsaktion gewünscht war.
Wer kommt noch mit?😅
Also ich irgendwann nicht mehr. Und als ich dann die vier verschiedenen Preise für die Interessentin durchrechnete, kam eine Frage hoch, die ich die Jahre zuvor erfolgreich ignorierte:
Warum machte ich es mir nur so unfassbar kompliziert?
Ich bin durch eine „klassische“ Onlinemarketingschule gegangen und mit Webinarrabatten und Frühbucherpreisen „groß geworden“. Für mich war es jahrelang normal, verschiedene Preise für ein Angebot zu nutzen, um Menschen optimal zum Kauf zu „motivieren“.
Doch wenn man mal ein bisschen über Preise nachdenkt, gibt es viele gute Gründe, sich von dieser wirren Preispsychologie zu verabschieden.
Das ist gut für unser Produkt. (Denn der Wert unseres Produkts ist ja immer gleich und ein Rabatt verwässert diesen.)
Das ist gut für unsere Marke. (Denn sicherlich soll nicht der Stempel „Ausverkauf“ oder „Wühltisch“ an unseren Marken haften.)
Das ist gut für die Menschen, die wir erreichen wollen. (Denn wir zeigen Wertschätzung, indem wir sie nicht mit Psychotricks in unsere Programme zerrren, sondern ihnen Zeit und Raum geben, sich in Ruhe für unser Programm zu entscheiden.)
Und das ist gut für uns. (Denn damit können wir endlich damit aufhören, das Verkaufen mit „charmanten“ Preisen, Rabatten und nervigen Aktionen unnötig komplizierter zu machen als nötig.)
Wie wäre es, wenn unsere Produkte so viel kosten, wie viel sie kosten, völlig egal …
wie schnell oder langsam sich jemand für das Angebot entscheidet
ob der Betrag auf einmal oder in Raten gezahlt wird und
ob gerade Frühlingsanfang, Valentinstag, Black Friday oder „Hast du gepupst“-Tag ist.
Das ist nicht nur ethischeres Marketing, sondern auch eine Form von Wertschätzung und Vereinfachung.
Preise ohne Gedöns lassen uns Raum für nachhaltige Marketingstrategien oder für Kuchen.🧁
Genau! Wenn sich am nächsten Black Friday mal wieder alle mit ihren exorbitanten Aktionen überbieten und in die Rabattschlacht ziehen, lassen wir den Posteingang doch einfach mal zu und essen ein Stück Kuchen.
Das ist JOMO („Joy of missing out“) in Reinstform!
Ich hab’ Beef mit Jeff! – Warum ich nicht mehr launchen will
Ich habe keine Lust mehr darauf, klassisch zu launchen und Menschen in meine Programme „hineinzufunneln“. Warum ich mich gegen künstliche Verknappung und Co. entschieden habe.
Auf meinem Weg zu einem Social-Media-freien, ethischen Marketing habe ich mein nächstes Dorn im Auge: das Launchen.
Ich mag nämlich nicht mehr Menschen in meine Programme „hineinfunneln“.🙈
Das „klassische“ Launchen, so wie wir es aus dem Onlinemarketing kennen und so wie ich es jahrelang für mich praktiziert habe, ist nämlich alles andere als achtsam und ethisch, wenn wir ehrlich sind.
Sowohl für mich als „Launchende“.
(Manchmal war ich nach dem Launch so ausgebrannt, dass ich dringend Urlaub gebraucht hätte. Und da war der Kurs, den ich gelauncht habe, noch nicht einmal gestartet …)
Als auch für die Menschen, an die ich meine Programme gelauncht habe.
(Ich schätze mal, niemand möchte gerne Mails à „Das Angebot gibt es nur noch eine Stunde – friss oder stirb“ bekommen.)
Doch wie können wir unsere Onlineprogramme mit Teilnehmer*innen füllen, ohne mit Druck, psychologischen Tricks und dem üblichen Marketing-Blabla zu arbeiten?
Lass uns dafür zunächst einmal das klassische Launchprinzip angucken.
Das klassische Launchen nach Jeff Walker
Launchen, so wie wir es kennen, basiert auf der sogenannten „Product Launch Formula“ von Jeff Walker.
Der gute Jeff hat nämlich herausgefunden, dass man Programme und digitale Produkte viel besser verkauft, wenn es eine künstliche Verknappung gibt.
So wird der Warenkorb an einem Tag – meist durch ein Webinar – geöffnet („Open Cart“) und nach ein paar Tagen wieder geschlossen („Closed Cart“). Und davor und danach kann das Programm nicht mehr gekauft werden.
In der Open-Cart-Phase bedient sich Jeff der üblichen E-Mail-Marketing-Taktiken mit Deadlines, Timern und sogenannten „mentalen Triggern“, also psychologischen Tricks, die Menschen dazu bringen sollen, das Produkt zu kaufen.
Warum ich Beef mit Jeff hab
Zunächst einmal hat Jeff natürlich absolut Recht:
Marketing mit Verknappung und anderen mentalen Triggern „funktioniert“. In dem Sinne, dass ein Programm tatsächlich interessanter ist und ein „Habenwollen“ auslöst, wenn es nur wenige Tage im Jahr zur Verfügung steht.
Ist bei mir ein bisschen so wie mit Bärlauch. Ich mag ihn nicht besonders. Aber wenn ich ihn im Frühling beim Spaziergang mit dem Hund entdecke, denke ich: „Nimmst ihn halt mal mit, sonst musst du wieder ein Jahr warten … “
Alle großen Online-Unternehmer*innen, die ich kenne, bedienen sich dieser Bärlauch-Taktik. Und das erfolgreich.
Doch darf ich mich psychologischen Tricks bedienen, einfach nur weil … es funktioniert? Darf ich ggf. fragwürdige Marketingtaktiken anwenden, einfach nur weil … es alle machen? Darf Wachstum und finanzieller Erfolg der einzige Wert sein, den ich im Marketing verfolge?
Ich glaube:
Nein.
Nein.
Und nein.
Und ich schätze mal, du siehst es ähnlich.
Ja, vermutlich sehen das die meisten Selbstständigen ähnlich.
Niemand will manipuliert werden. (Doch die meisten Selbstständigen manipulieren.)
Und da nehme ich mich selbst nicht raus. In der Vergangenheit habe ich auch Jeffs Buch inhaliert und mit Deadlines und Timern gearbeitet, weil es so schön „funktioniert“ hat. Doch was ist die Alternative?
Vielleicht denkst du jetzt:
„Ist ja schön und gut. Ich bin auch für Ethik und Moral. Aber gleichzeitig will ich von meiner Selbstständigkeit leben können. Was ist also die Alternative?“
Ich weiß es nicht so genau.
(Also noch nicht.)
Aber ich begebe mich auf die Suche.
Ich bin auf dem Weg.
Und ich werde berichten.😊
Was ich ab sofort nicht mehr mache
Einiges habe ich aber schon in den letzten Wochen umgesetzt und geändert.
Keine „charmanten Preise“ mehr
Da wäre zum einen die Sache mit den Preisen.
Bestimmt ist dir nämlich schon aufgefallen, dass Preise sehr häufig auf „7“ oder „9“ enden, oder? Sei es im Discounter oder bei hochpreisigen Coaching-Angeboten …
„Charm Pricing“ nennt sich das und meint die psychologische Preisgestaltung, die suggeriert, dass ein Produkt günstiger ist, als es ist.
Deshalb kosten Onlinekurse auch oft „497“, „997“ oder „1497“ Euro.
Wir denken „Cool, noch dreistellig“ und kaufen, ohne mit der Wimper zu zucken, das Produkt, das eigentlich bereits vierstellig kostet.
Auch ich habe mich jahrelang dieser Strategie bedient.
Gar nicht mal, weil ich dachte: „Jetzt will ich Menschen zum Kauf meines Produktes manipulieren. MuahahaHAHAHA.“
Sondern weil es alle so machten.
Ich weiß, dass „Weil es alle machen“ ein doofer Grund ist. Und genau deshalb habe ich mich, bei den Dingen, die ich anbiete (wie meinen Onlinekursen zum Beispiel), gefragt, ob ich mich noch länger dieser psychologischen Preisgestaltung bedienen will.
Und: nein.
Will ich nicht.
Deshalb enden meine Preise jetzt – wie mein Stundensatz ja auch – regulär auf einer „0“.
Kein Aufpreis mehr für Ratenzahlungen
Eine zweite Sache, die ich bei der Preisgestaltung für meine Produkte geändert habe, betrifft die Ratenzahlung.
Klassischerweise sollen im Launch Einmalzahlungen belohnt und Ratenzahlung bestraft werden. Deshalb sind Ratenzahlungen bei den meisten Onlineprogrammen auch teurer.
Dafür gibt es an sich eine vernünftige Erklärung:
Ratenzahlungen bedeuten für den oder die Anbieter*in einen buchhalterischen Mehraufwand und natürlich ist da immer auch ein gewisses Risiko, dass die letzten Raten nicht bezahlt werden.
Das ist alles richtig. Doch inzwischen empfinde ich einen Aufpreis für Ratenzahlungen einfach nicht mehr als sozial.
Gerade Einsteiger*innen können sich vier- oder fünfstellige Produkte – selbst wenn sie nach bestem Wissen und Gewissen kalkuliert wurden und ihren Preis absolut wert sind – oft noch nicht leisten.
Sie sind auf Ratenzahlungen angewiesen, und wie doof ist es eigentlich, diese Situation als Unternehmerin auszunutzen und Einsteiger*innen mit höheren Preisen zu „bestrafen“? (Um nicht zu sagen: zu diskriminieren.)
Dabei ist es für Unternehmer*innen mit mehr finanziellen Ressourcen doch ein Leichtes, solidarisch mit denjenigen zu sein, die weniger finanzielle Ressourcen zur Verfügung haben, und soziale Preismodelle anzubieten?!
Umso mehr, wenn genau diese Unternehmer*innen regelmäßig größere Summen an Hilfsorganisationen spenden und sich auf Social Media als wahnsinnig „sozial“ geben.
Ratenzahlungen biete ich deshalb ab sofort ohne Aufpreis an.
Keine Timer und künstliche Deadlines mehr
Wenn es kein klassisches „Open Cart“ und „Closed Cart“ gibt, brauche ich auch keine Timer und künstlichen Deadlines mehr.
(Juhu!🥳 Hab sie sowieso immer gehasst!)
„Nur noch zwei Stunden sind die Türen zu meinem Programm geöffnet. Buche jetzt noch schnell.“
Solche Mails möchte ich in Zukunft nicht mehr verschicken.
Kein Zeitdruck mehr für mich
Und schließlich ist das Ganze auch noch für mich viel entspannter.😊
Auf andere Menschen Druck auszuüben, selbst wenn es „nur“ per E-Mail ist, hat natürlich auch auf mich selbst Druck ausgeübt.
Kein Wunder, dass ich mich nach Launches so oft ausgelaugt und erschöpft fühlte.
Mehrere Wochen vor einem gemeinsamen Start die Türen zu einem Programm zu öffnen, fühlt sich herrlich entspannt an. Ich muss nicht – pünktlich zu einem Webinar – fit sein, sondern mehrere Wochen Zeit, um auf dem Blog oder Newsletter über mein Programm zu reden.😊
Stattdessen will ich nun Folgendes tun
Fiese Gedanke verbannen und stärkende Gedanken denken
Zunächst einmal starte ich – wie immer – im Innern. Da ist nämlich dieser hartnäckige Glaubenssatz in mir, dass ich nicht erfolgreich sein kann, wenn ich ethisch handle.🙈
Verrückt, oder?
Ich vermute: Das ist Gedankengut aus Sowjetzeiten, wo jede*r, der oder die erfolgreich sein wollte, krumme Dinger drehen und jemanden bestechen musste. (Ich wünschte, das wäre ein Witz.)
Weg damit.
„Ich kann ein ethischer Mensch sein und genügend Umsatz machen, um ein schönes Leben zu führen.“
Viel besser.
Diesen Satz schreibe ich mir nun jeden Tag zehnmal irgendwohin, bis auch die letzte Zelle in meinem Körper verstanden hat, dass es so ist.😜
Wartelisten
Solange ich nicht genau weiß, wann ich das nächste Mal ein Programm anbieten kann und will, biete ich Menschen die Möglichkeiten an, sich in Wartelisten einzutragen.
Das möchte ich auch in Zukunft so handhaben.
Wartelisten finde ich für beide Seiten herrlich entspannt und unkompliziert.
Menschen, die grundsätzlich Interesse an einem Programm haben, tragen sich in eine Warteliste ein, selbst wenn ich die Details noch nicht festgelegt habe.
Sobald Zeitraum, Leistungsumfang und Preis feststehen, schreibe ich ihnen eine Mail und sag ihnen Bescheid.
Natürliche Verknappung(en) kommunizieren
Es gibt für mich einen großen Unterschied zwischen künstlicher und natürlicher Verknappung.
Natürliche Verknappung hat einen guten, nachvollziehbaren Grund wie
eine begrenzte Zahl der Teilnehmer*innen, um alle bestmöglich unterstützen zu können
begrenzt freie Slots für Mentorings, weil der Tag nun mal 24 Stunden hat und ich nicht mehr als X Mentoringkund*innen parallel haben kann, ohne mich zu verzetteln
Anmeldemöglichkeit endet an Tag X, weil wir am Tag darauf gemeinsam starten
Diese natürlichen Verknappungen, empfinde ich nicht als Manipulation und werde sie auch weiterhin kommunizieren.
Schließlich ist es auch absolut in Ordnung, wenn Hotels oder Restaurants auf ihrer Website erzählen, dass sie nur eine begrenzte Anzahl an Zimmern oder Plätzen zur Verfügung haben.
Oder hast du schon einmal gedacht:
„Boah, nur 40 Hotelzimmer?! Wie können sie es wagen, so viel Druck auf mich auszuüben?!“
Kapazitäten transparent zu kommunizieren oder die Zahl der Teilnehmer*innen zu begrenzen (um sie optimal unterstützen zu können), finde ich immer noch absolut legitim. Für Hotels und Restaurants. Und natürlich auch für Berater*innen und Coaches.
Working out loud
Ich liebe das Konzept von „Working out loud“.
„Working out loud“ heißt vereinfacht, dass ich nicht einfach nur im stillen Kämmerlein vor mich hin arbeite, sondern dass ich Menschen an meiner Arbeit teilhaben lasse und Wissen teile.
Das kann ein Behind-the-Scenes-Blogartikel so wie dieser hier sein. Oder auch ein persönlicher Newsletter.
Statt mich unnahbar zu geben und Entwicklungen oder Erkenntnisse zu verheimlichen, erzähle ich offen die Hintergrundgeschichten zu meinen Angeboten, rede über meine Werte, Denkprozesse und (innere oder äußere) Veränderungen.
Das ist für mich nicht Manipulation.
Das ist Sichtbarkeit.
Das ist Teilen von Wissen.
Das ist „Working out loud“.
Online-Events
Online-Events wie Webinare, Workshops oder Kongresse sind aus meiner Sicht nicht per se „manipulativ“.
Sie können – wie im klassischen Launchen – natürlich als Strategie genutzt werden, um die Open-Cart-Phase einzuleiten und Menschen in den „Funnel“ zu bekommen.
Sie können aber auch einfach nur eine Möglichkeit sein, um sichtbar zu machen, was wir wissen und wie wir Menschen mit unseren Angeboten helfen können.
Und Letzteres finde ich immer noch absolut in Ordnung.
Eine Online-Veranstaltung nach dem Muster
„Hier ist das was ich weiß, tue und kann. Und hier ist eine Möglichkeit, mit mir zusammenzuarbeiten.“
ist nämlich etwas völlig anderes als
„Hier ist das, was ich weiß, tue und kann. Und du hast nun fünf Tage Zeit zu entscheiden, ob du mit mir zusammenarbeiten willst. (Ansonsten erst nächstes Jahr wieder! #SorryNotSorry) Und wenn du dich in den nächsten 15 Minuten entscheidest, bekommst du Boni im Wert von drölfzig tausend Euro.“
Das Erste ist Sichtbarkeit. Das Zweite ist Druck. (Und psychologische Trickserei.)

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