Was Emotionsarbeit mit unserer Selbstständigkeit zu tun hat
Hast du schon einmal locker, flockig in die Kamera für eine Instastory gesprochen und so getan, als wärst du bester Laune, obwohl dir gerade eigentlich eher nach Heulen zumute war?
Warst du schon einmal freundlich zu einem Kunden, obwohl du ihn aufgrund seiner problematischen Aussagen am liebsten zum Mond geschossen hättest?
Hast du auch schon mal eine Kollegin angelächelt, obwohl dir gerade gar nicht nach lächeln war?
Wenn du diese oder ähnliche Situationen schon einmal erlebt hast, dann hast du bereits Bekanntschaft mit Emotionsarbeit gemacht.
Was Emotionsarbeit ist, was es mit der Selbstständigkeit und Social Media zu tun hat und warum es so wichtig für Selbstständige ist, sich der geleisteten Emotionsarbeit bewusst zu werden, möchte ich in diesem Blogartikel zeigen.
Was ist Emotionsarbeit?
Emotionsarbeit ist ein Konzept, das in der Soziologie und Psychologie eine immer größere Bedeutung erlangt. Im Kern geht es um die Anstrengungen, die eigenen Gefühle zu kontrollieren, auszudrücken oder zu modifizieren, um sozialen Erwartungen gerecht zu werden.
Emotionsarbeit tritt in verschiedenen Bereichen des Lebens auf: auf der Arbeit, in der Partnerschaft, in der Eltern-Kind-Beziehung oder auf Social Media.
Emotionsarbeit als Selbstständige
Gerade in Dienstleistungs- und Serviceberufen haben Selbstständige häufigen Kontakt zu anderen Menschen. Per E-Mail, in Zoom, auf Social Media oder persönlich. Und natürlich geht diese Arbeit mit verschiedensten emotionalen Zuständen einher:
Manchmal geht es uns gerade nicht gut. (Wir fühlen uns traurig, wütend, gestresst, leer oder irgendwas dazwischen.)
Manchmal geht es unserem Gegenüber nicht gut (Er fühlt sich traurig, wütend, gestresst, leer oder irgendwas dazwischen.).
Doch egal, wie es uns oder unserem Interaktionspartner geht – die meisten Selbstständigen bemühen sich in solchen Situationen, professionell zu bleiben und das heißt: freundlich, empathisch, zurückhaltend.
Und so haben wir selbst in Zeiten größter persönlicher Herausforderungen ein Lächeln für unsere Kund*innen übrig. Oder bleiben ruhig, selbst wenn es – angesichts eines doofen Spruchs – innerlich in uns tobt.
Emotionsarbeit auf Social Media
Auch auf Social Media findet Emotionsarbeit statt.
Jemand findet in einem Kommentar nicht gerade nette Worte für uns – wir schlucken’s runter und versprühen weiterhin „Good Vibes“.
Und auch der Druck, ständig glücklich, erfolgreich und positiv zu erscheinen, führt zu einer verstärkten Emotionsarbeit, denn – surprise, surprise – wir sind nicht jeden Tag glücklich, erfolgreich und positiv.
Es gibt viele weitere Formen emotionaler Arbeit auf Social Media:
Vergleich: Wir vergleichen jeden Aspekt unseres Berufslebens mit anderen und müssen mit Gefühlen wie Unzulänglichkeiten klarkommen.
Inszenierung: Wir stellen uns anders da, als wir wirklich sind. Manchmal ist die Abweichung minimal. Manchmal etwas größer. Was macht das mit unseren Gefühlen?
Bewertungen: Likes oder keine Likes, positive, negative oder gar keine Kommentare. Wir werden auf Social Media ständig bewertet – das ist nicht immer angenehm. Kritik oder Anfeindungen erfordern emotionale Resilienz.
Erwartungen: Was, wie und wie oft wir posten – unsere Follower haben ganz konkrete Erwartungen und lassen es uns öfter auch wissen, wenn wir ihre Erwartungen enttäuscht haben. Wie geht es uns dabei? Reden wir mit jemandem darüber?
Privatsphäre: Selbstständige müssen ständig entscheiden, wie viel von sich selbst sie auf Social Media zeigen wollen. Das erfordert Emotionsarbeit.
Andere Formen der Emotionsarbeit
Auch eine Migrationsgeschichte kann bedeuten, zusätzliche Emotionsarbeit leisten zu müssen. Neben Marketing, Buchhaltung und der Zusammenarbeit mit Menschen geht es bei Selbstständigen mit Migrationsgeschichte oft auch darum, aktuelle Ereignisse wie Krieg und Krisen zu verarbeiten oder mit Traumata umzugehen.
Auch aus feministischer Perspektive ist Emotionsarbeit wichtig. Denn es sind häufig Frauen, die – in der Familie oder im Büro – Streit schlichten, vermitteln oder für Harmonie sorgen.
Die Auswirkungen von Emotionsarbeit
Warum ist es für Selbstständige nun so wichtig, über Emotionsarbeit Bescheid zu wissen?
Zunächst einmal: Weil Emotionsarbeit auch Arbeit ist. Selbst wenn sie nicht bezahlt, nicht wertgeschätzt und oft auch nicht gesehen wird, erfordert Emotionsarbeit unsere Zeit, Energie und manchmal auch Geld.
Das kann dazu führen, dass wir uns müde fühlen, ja regelrecht erschöpft und ausgebrannt. Selbst wenn wir nicht viele Termine haben und eigentlich nur im Homeoffice arbeiten.
Eng mit der Emotionsarbeit verknüpft ist auch das Konzept der emotionalen Dissonanz.
Emotionale Dissonanz tritt auf, wenn es eine Spannung gibt zwischen den tatsächlichen Emotionen und den Emotionen, die gezeigt oder ausgedrückt werden.
Klassisches Beispiel: Aufgrund einer Trennung oder eines Todesfalls ist jemand zutiefst traurig, zwingt sich aber dazu, auf Instagram „Good Vibes“ zu versprühen. Das erzeugt einen inneren Konflikt, der dann noch mehr Emotionsarbeit benötigt.
Manchmal kann der Erwartungsdruck auf Social Media, ständig gut gelaunt zu sein, sich bis ins Toxische steigern, was wiederum zu verstärkter Emotionsarbeit führen kann. Denn die Erwartung, immer glücklich oder positiv zu sein, heißt oft, die tatsächlich erlebten Gefühle zu unterdrücken oder zu verstecken.
Was ist im Hinblick auf Selbstständigkeit und Emotionsarbeit wichtig?
Es geht nicht darum, Emotionsarbeit abzuschaffen. Im Gegenteil: Emotionsarbeit ist notwendig für eine Gesellschaft.
Wem als Selbstständige*r psychische Gesundheit wichtig ist, sollte aber erst einmal ganz grundlegend anerkennen und auf dem Schirm haben, dass es Emotionsarbeit gibt und dass sie geleistet wird. Oft jeden Tag.
Vor allem bei Selbstständigen in Dienstleistungsberufen, auf Social Media, mit Migrationsgeschichte oder bei Selbstständigen mit Kindern ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Emotionsarbeit einen großen Teil der Zeit und Energie beansprucht. (Und Introvertierte können Emotionsarbeit vielleicht sogar noch zusätzlich als anstrengender empfinden.)
Was mir persönlich geholfen hat, war bekanntermaßen, Social Media zu verlassen und in meinem Marketing auf Social-Media-freie Plattformen zu setzen.
Ansonsten ist authentischer Selbstausdruck oft die beste Prävention. Und in einem akuten Fall von Erschöpfung heißt es: gut zu sich sein, ausruhen und Auszeiten einlegen. Auch wenn das bedeutet, nicht so schnell voranzukommen, wie die schnelllebige Welt das von uns will.