Social Media und ethisches Marketing - wie passt das zusammen? Teil 2: Mikrotargeting und Datenschutz

In dieser Podcastfolge machen wir weiter mit der Reihe „Social Media und ethisches Marketing – wie passt das zusammen?“. Ich hatte dir in der letzten Solofolge bereits was zum Begriff „ethisches Marketing“ gesagt.

Und heute geht es um das Thema Mikrotargeting und Datenschutz.

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Was ist Mikrotargeting?

Stell dir vor, du gehst in einen Buchladen, schaust dich kurz im Bereich „Trennung verarbeiten“ um, blätterst einmal kurz in einem Ratgeber und gehst dann doch wieder raus, ohne was zu kaufen.

Am nächsten Tag steht ein Typ vor deiner Haustür mit einem Klemmbrett und sagt:

„Hey du! Ich hab gesehen, du interessierst dich für emotionale Verarbeitung nach Beziehungskrisen. Hier habe ich drei passende Therapie-Angebote für dich, einen Rabattcode für Schokolade – und übrigens: Deine Nachbarin weiß jetzt auch Bescheid!“

Klingt absurd? Ja.

Ist aber Alltag – zumindest online. Und vor allem auf Social Media.

Denn genau so funktioniert Mikrotargeting

Du zeigst irgendwo Interesse – und zack, die Social-Media-Plattformen registrieren, speichern und werten das Ganze aus. Und anschließend verkaufen sie diese Informationen an Werbetreibende weiter.

Der Begriff Mikrotargeting bezeichnet also eine datenbasierte Marketingstrategie, bei der Zielgruppen unterschiedlich angesprochen werden und zwar nach Alter, Wohnort, Geschlecht, Interessen und vielem, vielem mehr. Und das Ganze auch noch mit verschiedenen, individuell zugeschnittenen Botschaften.

Ganz konkret heißt das, dass Selbstständige und Unternehmen auf Social Media Werbung schalten und diese Werbung personalisieren. Also mithilfe des mächtigen Werbeanzeigenmanagers den exakt richtigen Menschen zur exakt richtigen Zeit ausspielen.

Und wenn du Social Media selbst nutzt, wird das Alltag für dich sein. Da wirst du alles bereits kennen:

Du guckst dir zum Beispiel in einem Onlineshop neue Sneaker an. Und wenn du wieder zurück zu Instagram gehst, werden dir genau dieselben Sneaker als Werbung angezeigt.

Das ist natürlich kein Zufall.

Soziale Medien stellen Werbetreibenden einen Code zur Verfügung, der auf ihrer Website eingebunden werden kann. 

Bei den Meta-Diensten Facebook und Instagram ist es das sogenannte Meta-Pixel

Aktuell binden laut einer Studie etwa 11% aller Websites das Pixel ein, also etwa 22 Millionen Websites weltweit.

Das sind meist Selbstständige und Unternehmen und andere Organisationen, die das tun.

Wenn das Pixel eingebunden ist, registriert es (nahezu) jede Handlung, die auf der Website vollzogen wird, also zum Beispiel

  • wenn du einen Artikel liest

  • wenn du dir ein Video anschaust

  • dich zum Newsletter anmeldest

  • eine PDF downloadest

  • ein Produkt zum Warenkorb hinzufügst

  • oder ein Produkt kaufst

  • und so weiter

Diese Informationen leitet das Pixel dann an die Social-Media-Plattformen weiter. Jedes Pixel hat eine bestimmte ID und kann damit dem entsprechenden Werbekonto genau zugeordnet werden. 

Damit können die Social-Media-Plattformen nun den Nutzer*innen im zweiten Schritt Werbeanzeigen zeigen, die perfekt auf ihr Verhalten zugeschnitten sind. 

Wenn du dir zum Beispiel auf einer Website ein Video angeguckt hast, bekommst du vermutlich andere Werbeanzeigen ausgespielt als die Menschen, die bereits ein Produkt im Warenkorb hat.

Ja, neben den Informationen, die die Plattformbetreiber vom Pixel bekommen, werten Facebook und Co. auch das Verhalten auf den Plattformen selbst aus.

Zum Beispiel: 

Welche Seiten oder Beiträge gefallen dir? 

Mit welchen Inhalten hast du in der Vergangenheit interagiert? 

Wem folgst du? 

Und natürlich haben die Plattformbetreiber auch Zugriff auf die persönlichen Informationen, die bei der Anmeldung fällig wurden oder die im Profil dann freiwillig ergänzt wurden, also: 

Alter, Wohnort, Geburtsort, Beziehungsstatus und so weiter. 

Das alles ist eine mächtige Kombination. Und so ist es kein Wunder, dass personalisierte Werbung für die meisten Selbstständigen und Unternehmen nicht mehr aus dem Marketing wegzudenken sind. 

Es gibt tatsächlich eine Menge Vorteile für personalisierte Werbung. Und vermutlich kennst du sie auch alle bereits. Denn in der Marketing-Bubble dominiert diese Ansicht eindeutig:

  • Vorteil eins – ich hatte es gerade schon erwähnt –, dass wir damit gezielt eine bestimmte Gruppe von Menschen ansprechen können. Wir könnten zum Beispiel offene Stellen nur Männern zeigen oder nur Frauen unter 30. Warum das ethisch ein Problem sein könnte, da werde ich gleich noch drüber sprechen.

  • Ein weiterer Vorteil von personalisierter Werbung auf Social Media ist, dass wir damit neue Zielgruppen erschließen können und damit schneller Reichweite aufbauen und unsere Onlinesichtbarkeit erhöhen können. 

  • Ein dritter Vorteil ist, dass wir damit Freebies oder Webinare wieder gezielt bewerben können und damit unsere E-Mail-Liste schneller aufbauen können oder effektiver launchen können.

  • Und schließlich lassen sich mit Retargeting-Kampagnen Menschen kontaktierten, auch das hab ich schon gerade erwähnt, die fast bei uns gekauft haben. Zum Beispiel haben sie bereits ein Produkt im Warenkorb liegen und werden dann mit der Ad daran erinnert, das Produkt auch zu kaufen.

Ja, das sind einige der wichtigsten Vorteile von Mikrotargeting und personalisierter Werbung. Das war in aller Kürze ein Abriss, was das alles eigentlich ist.

Doch wir müssen uns jetzt unbedingt auch die andere Seite anschauen: die Probleme und ethischen Herausforderungen, sag ich mal, die sich durch den Einsatz von personalisierter Werbung auf Social Media ergeben. 

Ja, wo fangen wir bloß an?

#1 Datenschutz

Am besten bei dem Thema Datenschutz. Ich habe vorhin schon erwähnt, dass Mikrotargeting darauf basiert, dass Websiteverantwortliche das Meta-Pixel auf ihren Websites einbinden.

Doch der Einsatz des Pixels ist aus datenschutzrechtlicher Sicht problematisch, denn:

  • Es werden personenbezogene Daten erhoben und gespeichert. Es sind also keine anonymen Daten oder zumindest pseudonymisierte Daten, sondern Informationen, die sich explizit auf eine Person beziehen.

  • Diese Daten werden in die USA an den Meta-Konzern übermittelt und ausgewertet. 

  • Und diese Informationen werden Werbetreibenden zur Verfügung gestellt.

  • Und schließlich kann auch die US-Regierung theoretisch jederzeit Zugriff auf diese Daten bekommen.

Rechtlich sind Websitebetreiber*innen – also Selbstständige und Unternehmen – dafür verantwortlich, das Pixel datenschutzkonform einzubinden.

Doch viele informieren lediglich in ihren Datenschutzhinweisen darüber, dass sie das Meta-Pixel nutzen. Doch dieser Hinweis allein ist eben nicht ausreichend. Eine solche Verwendung des Pixels ist nämlich nicht DSGVO-konform

Menschen müssen aktiv in die Nutzung der Daten und das Anzeigen von personalisierter Werbung einwilligen bzw. der Nutzung widersprechen können. Das nennt sich Opt-in- und Opt-out-Möglichkeit.

Und das bieten wohl die meisten Cookie-Consent-Banner, weshalb es nach allgemeiner Auffassung ausreicht, solch ein Tool zu nutzen, um sich vor einer Abmahnung zu schützen. 

Die Herausforderung ist aber, dass das Meta-Pixel nicht laden soll, bis die Einwilligung erteilt ist. Denn nicht alle Websiteverantwortliche haben das nötige Wissen, das auch technisch umzusetzen. 

Und vermutlich wird das Tracking in den meisten Fällen dennoch ohne das Wissen der Websitebesucher*innen erfolgen. 

Denn vielleicht kennst du das auch:

Oft machen wir uns einfach nicht die Mühe, beim Cookie-Banner auf „Einstellungen“ zu klicken und das Tracking zu deaktivieren. Und ob Menschen, die noch nie in Berührung mit dem Werbeanzeigenmanager gekommen sind, überhaupt von der Existenz und dem Einsatz eines solchen Pixels wissen, sei auch mal dahingestellt. 

Warum ist der Schutz personalisierter Daten jetzt überhaupt so wichtig? 

Viele Selbstständige, und ich hab ehrlicherweise auch lange Zeit dazu gehört, finden das Thema Datenschutz extrem unsexy und unnötig und lästig. Und wenn auch du bereits schlechte Laune bekommst, wenn du auch nur das Wort „DSGVO“ hörst, könnte es sein, dass du überhaupt keinen Bock auf diese Folge hast und dir gerade denkst: „Oh, Datenschutz? Nicht schon wieder!“

Doch das Ding ist, dass Privatsphäre und Datenschutz zwei Grundrechte sind, die zum Beispiel in EU-Verträgen verankert sind oder in der EU-Charta der Grundrechte.

Und das hat einen guten Grund.

Stell dir vor, du sitzt in einem Café, redest mit einer Freundin über deinen Plan, dich selbstständig zu machen – ganz privat, leise, ohne dass jemand mithören soll.

Und plötzlich kommt der Kellner zurück und legt dir kommentarlos drei Flyer auf den Tisch:
– für eine Steuerberatung
– einen Online-Kurs zur Sichtbarkeit
– und für ein Coaching gegen Versagensängste

Und genau so fühlt es sich an, wenn du online ein bisschen suchst, ein bisschen klickst und plötzlich Werbung bekommst, die zu genau weiß, was gerade in deinem Leben los ist. Ohne, dass du jemals bewusst zugestimmt hast, diese Info zu teilen.

Deshalb geht’s beim Datenschutz nicht um Bürokratie. Das ist die falsche Perspektive.

Es geht darum, die Kontrolle über deine eigenen Gedanken, Gefühle und Entscheidungen zu behalten – auch im digitalen Raum.

Und wer dazu sagt „Ich hab doch gar nichts zu verbergen“ – meine Lieblingsantwort kommt von Edward Snowden. Er sagt in etwa:

„Zu argumentieren, dass du keine Privatsphäre brauchst, weil du nichts zu verbergen hast, ist in etwa so, als würdest du sagen, dass du keine Meinungsfreiheit brauchst, weil du gerade mal nichts zu sagen hast.“

Es ist also eine gefährliche Kurzsichtigkeit.

Und ich werfe einfach mal ein paar Reflexionsfragen in den Raum, die du mal ganz in Ruhe für dich nach der Folge klären kannst:

  • Bist du dir sicher, dass dein Pixel wirklich erst nach aktiver Zustimmung lädt?

  • Wie würdest du reagieren, wenn du in einem anderen Geschäft so „beobachtet“, „verfolgt“ und analysiert würdest wie online?

  • Hättest du selbst Lust, mit einem Unternehmen zu arbeiten, das deine Daten ungefragt an Dritte weitergibt?

  • Widerspricht der Einsatz solcher Tracking-Tools vielleicht deinen eigentlichen Werten – zum  Beispiel Vertrauen, Respekt oder Selbstbestimmung?

  • Wie möchtest du in Zukunft Werbung für dein Thema oder deine Produkte machen? Als Mensch, der verfolgt – oder als Mensch, der einlädt?

#2 Content Optimization und Dark Patterns

Hinzu kommt noch, dass es inzwischen eine ganze Marketingdisziplin gibt, die sich damit befasst, möglichst viele Menschen dazu zu bringen, möglichst niedrigen Datenschutzbestimmungen zuzustimmen, damit möglichst zielgerichtete Werbeanzeigen geschaltet werden können.

Das nennt sich Consent Optimization und es geht dabei im Großen und Ganzen darum, durch ein spezielles Wording oder Design Menschen dazu zu „motivieren“, Tracking zu akzeptieren.

Diese Consent-Optimierung öffnet Tür und Tor für sogenannte Dark Patterns, also Strategie-, Design- oder Sprachmuster, die Menschen zu einem bestimmten Verhalten verleiten und ethisch fragwürdig sind.

Zum Beispiel:

Du besuchst eine Website und sofort poppt ein Cookie-Banner auf, wie es rechtlich ja auch sein muss. 

Dieses Cookie-Banner ist ganz groß, bunt und genau in der Mitte siehst du einen grünen Button mit „Zustimmen und weiter“.

Daneben, ganz klein und grau, irgendwo in einer Ecke siehst du dann „Einstellungen“ oder „Nur notwendige Cookies zulassen“.

Wenn du da draufklickst, öffnet sich eine verschachtelte Liste mit 30 Häkchen – und du musst aktiv alle Werbepartner abwählen.

Das dauert, nervt und vielleicht gibst du an dieser Stelle auch schon auf.

Das ist Consent Optimization.

Nicht, um dir alle Möglichkeiten gleichwertig zu präsentieren und dir die Wahl zu lassen, sondern um dich dazu zu bringen, möglichst schnell „Ja“ zu sagen.

Technisch gesehen ist das eine Einwilligung. Ethisch gesehen geht es vielleicht auch schon in Richtung Manipulation.

Wenn du willst, kannst du an dieser Stelle auch schon mal für dich reflektieren:

  • Hast du schon mal aus Bequemlichkeit bei einem Cookie-Banner auf „Akzeptieren“ geklickt, obwohl du es eigentlich nicht wolltest? Und wie ging es dir dabei?

  • Wie geht es dir, wenn du merkst, dass alle Alternativen gleichwertig präsentiert werden und du dich frei entscheiden darfst?

  • Wie könnte das bei den Menschen sein, die den Cookie-Banner auf deiner Website sehen? 

#3 Überwachungskapitalismus und Gefahr für die Demokratie

Aber gehen wir noch einmal einen Schritt zurück und kommen zum dritten Punkt, den man auf dem Schirm haben muss, wenn man sich für oder gegen den Einsatz von personalisierter Werbung entscheidet.

Ich hatte es schon erwähnt:

Egal, was wir auf Social Media tun – die Plattformbetreiber schauen uns ganz genau zu und schreiben akribisch mit. Sie wissen im Grunde alles über uns: Jedes Like, jedes Follow, jeder Kommentar, ja, jede Sekunde, die wir zögern, bevor wir weiterscrollen, wird registriert, gespeichert und analysiert. 

Die Harvard-Professorin und Autorin Shoshana Zuboff spricht in ihrem Buch, das auch so heißt, von einem „Überwachungskapitalismus“.

Das bedeutet: Die Plattformbetreiber sammeln diese Daten nicht nur – sie haben sie zu einem Wirtschaftsgut erklärt. Und während sie alles über uns wissen, sind sie uns gegenüber komplett aber unkenntlich und intransparent. 

Das heißt, das ist eine beispiellose Asymmetrie an Wissen und Macht. Und dieses Wissen nutzen Plattformbetreiber, um Menschen zu beeinflussen, aber nicht zum Vorteil dieser Menschen, sondern zum Vorteil der Menschen, die für diese Daten bezahlen, also Werbetreibende.

Und genau diese Mechanismen machen nun immer öfter Probleme.

Rechtsextreme Parteien und Gruppierungen oder Verschwörungstheoretiker*innen verbinden Mikrotargeting zum Beispiel mit radikalen Inhalten und mobilisieren oder demobilisieren gezielt bestimmte Gruppen. 

Donald Trumps Wahlkampfteam zum Beispiel nutzte schon in der US-Wahl 2016, also vor neun Jahren, Daten von 200 Millionen Wahlberechtigten, um Schwarze, die damals mehrheitlich Demokraten wählten, mit „Negativwerbung“ gezielt vom Wählen abzuhalten. 

Andere Berichte zeigen, dass Facebook es zulässt, dass Immobilienwerbung nur Weißen angezeigt wird (und nicht Schwarzen) und erst 2017 die Möglichkeit, Werbeanzeigen an selbsterklärte „Judenhasser“ auszuspielen, entfernte.

Und manchmal ist es auch schlicht Unwissen oder mangelndes Bewusstsein, das zu einem Problem führt. 

Im Juli 2023 wurde zum Beispiel bekannt, dass die Polizei in England das Meta-Pixel auf Meldeseiten für häusliche Gewalt verwendete und diese sensiblen Daten an Meta weiterleitete. Damit waren die Menschen für Meta als mögliche Opfer häuslicher Gewalt erkennbar.

Mikrotargeting mag also nach einer tollen Chance für Selbstständige und Unternehmen klingen, ja. 

Doch es stellt inzwischen immer mehr eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie dar, die so langsam nicht mehr wegdiskutiert werden kann. 

Die Stimmung wird beeinflusst, politische Entscheidungen werden beeinflusst, Wahlen werden durch Mikrotargeting beeinflusst. 

Und Selbstständige und Unternehmen, die Mikrotargeting nutzen, unterstützen mit jeder Kampagne dieses Geschäftsmodell.

Und auch hier will ich dir einfach mal drei Fragen mitgeben:

  • Was passiert mit Vertrauen, wenn Werbung sich wie Überwachung anfühlt?

  • Willst du Teil eines Systems sein, das Menschen weniger frei statt freier macht?

  • Willst du mit deinem Geld ein System unterstützen, das immer öfter die Demokratie gefährdet?

#4 Manipulation 

Kommen wir zum vierten wichtigen Aspekt: der Manipulation. 

Mikrotargeting kann Menschen nämlich unbemerkt in eine ganz bestimmte Richtung lenken – emotional, politisch oder kommerziell.

Ich will jetzt damit nicht sagen, dass das über Lügen geschieht, sondern einfach nur durch gezielt platzierte Inhalte, die bestimmte Emotionen triggern – Angst, Hoffnung, Unsicherheit, was auch immer.

Das ist problematisch, weil …

  • Nutzer*innen so gar nicht merken oder wissen, warum sie etwas sehen.

  • Weil Werbung sie oft in verletzlichen Momenten trifft, zum Beispiel nach einer Trennung, Krankheit oder einem Jobverlust

  • Oder weil Entscheidungen nicht mehr aus innerer Überzeugung entstehen, sondern aus einer extern gesteuerten „Stimmungslage“.

Auch hier wieder ein Beispiel:

Stell dir vor, du hast gerade eine Phase, in der du vermehrt an dir selbst zweifelst. Vielleicht hat dir jemand abgesagt, du hast einen Pitch verloren oder dich mit deinem Partner oder deiner Partnerin gestritten.

Du scrollst durch Social Media und dann erscheint genau in diesem Moment eine Anzeige und da heißt es:

„Bist du manchmal unsicher, ob du wirklich gut genug bist?
Hier ist dein Weg raus aus der Selbstsabotage.
Nur noch heute: 50 % Rabatt auf mein Intensiv-Coaching.

Du denkst: 

„Wow – das passt ja gerade wirklich wie die Faust aufs Auge.“

Aber die Frage ist: 

Passt es wirklich zu dir – oder nicht viel mehr zu deinem temporären emotionalen Zustand?

Diese Anzeige wurde dir nämlich nicht zufällig ausgespielt.

Sondern basierend auf deinem bisherigen Verhalten oder deinem aktuellen Verhalten:
– deinen Suchbegriffen
– deinen Likes
– deiner Verweildauer bei bestimmten Inhalten
– deinen Klicks auf Beiträge mit ähnlichen Emotionen

- und so weiter

Was hier passiert, ist keine reine Information.

Das ist Stimmungsausnutzung, könnte man sagen.

Dein Bedürfnis wird nicht nur angesprochen, sondern auch verstärkt – damit du kaufst.

Solche Strategien können dazu führen, dass du Kaufentscheidungen triffst,
– die du später vielleicht bereust
– die du dir eigentlich nicht leisten kannst
– oder die auf einem kurzzeitigen Gefühl basieren statt auf wirklichem Bedarf

Und das passiert, wie gesagt, alles nicht zufällig, sondern weil Algorithmen gelernt haben, wie sie dich „weichkochen“ können.

Nicht weil du schwach bist, sondern weil du einfach ein Mensch bist.

Auch hier habe ich ein paar Reflexionsfragen für dich:

  • Wann hast du dich zuletzt emotional von Social Media Ads angesprochen gefühlt – und war dir klar, warum?

  • Wie würdest du es finden, wenn deine eigenen Unsicherheiten gezielt für Werbezwecke genutzt würden?

  • Wenn du selbst Werbung schaltest: Nutzt du gezielt bestimmte Emotionen, um Menschen zu „aktivieren“? Und wenn ja – wie weit möchtest du da gehen?

#5 Diskriminierung – wer wird ausgeschlossen oder anders behandelt?

Kommen wir zum letzten Punkt: der Diskriminierung.

Mikrotargeting funktioniert über Profile, und Profile basieren auf Vorannahmen.

Das kann dazu führen, dass Menschen bestimmte Informationen gar nicht mehr sehen, weil ein Algorithmus entschieden hat, dass sie „nicht zur Zielgruppe“ gehören.

Das kann zum Beispiel dazu führen, dass …

  • Frauen seltener Finanz- oder Tech-Anzeigen zu sehen bekommen

  • ältere Menschen weniger digitale Weiterbildungsangebote sehen

  • Menschen mit Migrationsgeschichte bewusst ausgelassen werden

  • oder politische Filterblasen sich weiter verhärten

Zum Beispiel kann es sein, dass Arbeitgeber gezielt Anzeigen nur an junge, männliche User ausspielen – obwohl vielleicht auch ältere oder weibliche Bewerber*innen grundsätzlich infrage kommen würden.

Heißt konkret:

Du als Frau über 40 bekommst du die Anzeige für den gut bezahlten Job vielleicht gar nicht zu sehen – weil ein Algorithmus entschieden hat, dass du nicht zur Zielgruppe passt oder weil Werbetreibende beschlossen haben, die Werbeanzeige nur an Männer auszuspielen.

Und das alles bemerkst du gar nicht, weil du natürlich nie erfährst, was du nicht gesehen hast.

Auch hier möchte ich dir ein paar Fragen zum Weiterdenken geben:

  • Ist es okay, Anzeigen nur bestimmten Gruppen zu zeigen, auch wenn andere genauso qualifiziert oder interessiert wären?

  • Würdest du wollen, dass ein Algorithmus entscheidet, welche Inhalte du siehst und welche nicht?

  • Welche Targeting-Optionen nutzt du, wenn du Werbung auf Social Media schaltest? Ist dir klar, wen du damit gezielt ausschließt?

Fazit

Du siehst: Es ist eine ganz schön komplizierte Sache: Mikrotargeting ist im digitalen Marketing allgegenwärtig – und auf den ersten Blick auch effektiv. 

Es ermöglicht punktgenaue Werbung, verspricht höhere Reichweite, bessere Conversion-Raten und gezieltere Ansprache. 

Doch diese Vorteile haben ihren Preis: den Schutz unserer Daten und unserer Privatsphäre, unsere Entscheidungsfreiheit und vielleicht sogar demokratische Grundwerte.

​​Die zentrale Frage, die für mich am Ende bleibt, ist: 

Wie wollen wir Marketing machen? 

Als Menschen, die einladen und auf Augenhöhe kommunizieren – oder als Teil eines Systems, das immer wieder manipuliert, ausschließt und überwacht?

Shownotes

Website

Buch „Don’t be evil“

Buch „No Social Media!“

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