Woher weiß ich, dass ich (nicht) im Einklang mit mir bin?

„Hallo Alex, wenn man etwas Neues wagt, ist es auch mal nötig, die eigene Komfortzone zu verlassen und auszudehnen. Da ist es völlig normal, dass sich etwas anfangs komisch und unbequem anfühlen kann. Es ist nicht so einfach zu erkennen: Fühlt sich das jetzt doof an, weil es wirklich nicht zu mir gehört? Oder fühlt es sich nur doof an, weil es eben neu, fremd und ungewohnt ist und ich über meinen Schatten springen, es trotzdem tun und lernen sollte? Was denkst du, woran man den Unterschied erkennen könnte?“


Ich glaube, deine Frage ist vielschichtig und die Antwort darauf ist es auch.😊 Ich sehe da sieben verschiedene Ebenen:

#1 Eine Werte-Ebene

… und die Frage: Kann ich das, was ich mache, mit meinen Werten vereinbaren?

So fühlt es sich für mich zum Beispiel völlig in Ordnung an, wenn sich die Arbeit an Texten schwer anfühlt oder ich mich bei einem Blogartikel richtig überwinden muss, ihn zu veröffentlichen (wie bei diesem hier). 

Aber wenn das eine Botschaft ist, die mir wichtig ist, weiß ich, dass es – im wahrsten Sinne des Wortes – die Mühe wert ist. 

Wenn ich mich allerdings tagtäglich dazu zwinge, Karussellposts für Insta zu erstellen, und gleichzeitig eigentlich keine Lust darauf habe, ein Unternehmen wie Meta zu unterstützen, sieht es anders aus. 

Da fühlt sich die Aufgabe nicht nur schwer an – alles in mir sträubt sich regelrecht dagegen, sie zu tun.

#2 Eine Stärke-Ebene

… und die Frage: Fokussiere ich mich gerade auf meine Stärken oder bin ich gerade dabei, meine Schwächen zu verbessern?

So ist es für mich zum Beispiel völlig in Ordnung, nicht zu wissen, wie ich einen Roman schreibe. Ich habe es noch nie gemacht und natürlich ist das erste Mal neben der Aufregung auch frustrierend und anstrengend. 

Ich bleibe dran, weil ich weiß, dass mir das Schreiben wichtig ist (siehe Werte) und ich, indem ich durch diese anstrengende Zeit gehe, meine Fähigkeiten und Stärken verbessere. 

Anders sieht es aus, wenn ich mich täglich dazu zwingen würde, Karussellposts für Insta zu erstellen. Ich kann das nicht gut, will das auch gar nicht können, finde das total langweilig und würde lieber mit Voldemort „Schiffe versenken“ spielen, als meine Zeit so zu verbringen. 

Hier sehe ich persönlich keinen Sinn darin, diese Schwäche weiter zu verbessern, um irgendwann, wenn ich Glück habe, lediglich Mittelmaß zu sein.

#3 Eine Energie-Ebene

… und die Frage: Raubt mir diese Aufgabe Energie oder gibt sie mir welche?

Gerade, was das Schreiben angeht, ist es nämlich so: Es ist anstrengend, aber seltsamerweise gibt mir das Schreiben mehr Energie, als es verbraucht. 

Wenn ich an einem Blogartikel oder Kapitel feile und am Ende des Tages etwas geschafft habe, bin ich happy, gut gelaunt und erfüllt.

Es ist also ein bisschen so wie beim Laufen und dem berühmten Runner's High. 

(Ein Writer's High also.😊)

Habe ich zehn Karussellposts für Insta designt, fühle ich mich nicht annähernd so berauscht. Eher gleichgültig bis innerlich leer oder frustriert. („Toll, jetzt habe ich zwei Stunden daran gesessen und der Post hat wieder nur 10 Menschen erreicht.“)

Mache ich jeden Tage fünf Instastorys, gibt mir das ebenfalls – als einem introvertierten Menschen – keine neue Energie, sondern zieht mir welche.

#4 Eine Möglichkeiten-Ebene

… und die Frage: Vergrößert diese Aufgabe meine Möglichkeiten im Leben oder beschneidet sie sie?

Beim Schreiben ist es nämlich so: Ich habe mittelfristig das Ziel, vom Schreiben zu leben. Das bedeutet, wenn ich mir hier die Mühe mache, etwas Neues zu lernen, weiß ich, dass es mich meinem Ziel näher bringt. Dass es mir Möglichkeiten und Chancen schenkt.

Beim Karussellpost-Erstellen ist es so: Ich denke mir die ganze Zeit: „Gott, was ich jetzt alles tun könnte, wenn ich nicht diese dämlichen Karussellposts designen müsste.“ 

Diese Aufgabe schafft also nicht neue Möglichkeiten, sie hält mich eher davon ab, die Dinge zu tun, die ich lieber tun würde.

#5 Eine Glücksebene

… und die Frage: Komme ich bei dieser Aufgabe in den Flow?

Für den Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi ist das Flow-Gefühl ein wahrer Glücksmacher, zeigt es uns doch an, dass eine Aufgabe das optimale Maß an Anstrengung für uns hat. 

So bin ich beim Schreiben regelmäßig im Flow und vergesse alles um mich herum. 

Beim Karussellpost-Erstellen? Noch nie. 

#6 Eine Selbstbestimmungsebene

… und die Frage: Habe ich mich für diese Aufgabe aus freien Stücken entschieden?

Autonomie ist eins der wichtigsten Bedürfnisse von Menschen, und wenn ich das Gefühl habe, dass ich mich aus freien Stücken für eine Aufgabe entschieden habe, nehme ich gerne auch mal schwierige(re) Phasen in Kauf.

Beim Schreiben ist das zum Beispiel so. Da nehme ich Herausforderungen wahr, aber ich problematisiere sie nicht. Ich weiß, dass sie mich nicht vom Schreiben abhalten, sondern Teil des Schreibens sind. 

Fürs Karussellpost-Erstellen hingegen hatte ich mich – gefühlt – niemals frei dafür entschieden. Ich hatte es gemacht, weil ich Marketingcoaches glaubte und dachte, es unbedingt tun zu müssen. Und diese Aufgabe hat sich auch deswegen schwer angefühlt, weil ich glaubte, keine Wahl zu haben.

#7 Eine Balance-Ebene

… und die Frage: Wechseln sich Anspannung und Entspannung ab?

Und noch etwas habe ich beobachtet: Die Dinge, bei denen ich – komme, was wolle – am Ball bleiben will, sind nie nur anstrengend. Vielmehr herrscht eine – für mich – gesunde Balance zwischen Anspannung und Entspannung.

Will heißen:

Vielleicht verlasse ich meine Komfortzone und veröffentliche einen persönlichen Blogartikel, und dann schreibe ich wieder drei Blogartikel, in denen ich mich „ausruhen“ kann und nicht zu viel riskiere.

Vielleicht veranstalte ich mal ein Webinar und bin kurz vorher ein bisschen aufgeregt. Aber dann lass ich es die nächsten Tage eben ruhiger angehen und lade meine Batterien wieder auf.

Beim Social-Media-Marketing hatte ich diese Balance in dieser Form nicht. Es fühlte sich immer anstrengend an und es gab kaum einen Tag, an dem mich Instagram nicht ausgelaugt hatte.

Übrigens:

Ich beobachte in letzter Zeit einen wahren „Leichtigkeits-Hype“: Alles rund ums Business soll immer und zu jeder Zeit „leicht“ sein. 

Das sehe ich nicht so.

Ich habe dieses Wort früher auch gerne verwendet, aber nun wieder damit aufgehört, weil ich feststelle, dass ich Leichtigkeit anders verstehe.

Leichtigkeit heißt für mich nicht, dass ich niemals meine Komfortzone verlasse und alle Aufgaben mir ständig leicht von der Hand gehen.

Leichtigkeit heißt für mich, dass ich – im Großen und Ganzen – im Einklang mit meiner Energie, meinen Stärken und meinen Werten lebe. Dass ich mich aus freien Stücken für eine Aufgabe entschieden habe und eine gesunde Balance zwischen Anspannung und Entspannung herrscht. 

Deshalb ist „im Einklang mit mir sein“ und „Komfortzone verlassen“ nicht zwingend ein Widerspruch.

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Wie mache ich mein Unternehmen nachhaltiger? – Interview mit Texter Jörn Leonhardt

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