Social Media als Arbeit sehen (Mein neues Buch „She Works Hard For No Money“ ist da!)
In dieser Podcastfolge geht es um Arbeit.
Und zwar um die Frage, warum Social Media nicht einfach nur ein banaler Zeitvertreib ist oder der Ort, an dem wir halt Marketing machen, sondern unbezahlte Arbeit und warum das gerade für Frauen ein Problem ist.
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Social Media ist Arbeit.
Und diese Folge gibt es genau heute, weil gestern mein neues Sachbuch erschienen ist mit dem Titel:
„She Works Hard For No Money – eine feministische Kritik sozialer Medien“
Das Buch ist bei Palomaa Publishing erschienen und du kannst es ab sofort direkt auf der Verlagsseite kaufen oder in deiner Lieblingsbuchhandlung bestellen. Offline oder online.
Und falls du noch ein paar mehr Infos brauchst, worum es im Buch genau geht, dann kommt hier eine kleine Einführung ins Thema.
Social Media ist Arbeit.
Das ist der Ausgangspunkt in meinem Buch. Und ich weiß, diese Perspektive erscheint erst einmal etwas merkwürdig.
Denn wenn wir an Social Media denken, dann kommt uns gleich in den Sinn, wie wir uns vielleicht gemütlich auf die Couch legen, ne App öffnen, wie wir anderen Accounts dort folgen, wie wir uns unterhaltsame Videos anschauen oder mit Leuten, die wir kennen oder nicht kennen, chatten.
Das hört sich alles mehr nach Freizeit an oder zumindest nach freiwilligem Zeitvertreib als nach Arbeit.
Es gibt ja auch keinen Arbeitsvertrag, keine Gehaltsabrechnung, keine Chefin, die Deadlines setzt und so weiter.
Wie kann Social Media dann Arbeit sein?
Für mich liegt da die Parallele zur unbezahlten Care-Arbeit auf der Hand:
Ich weiß nicht, ob du dich noch daran „erinnerst“, aber vor noch nicht allzu langer Zeit, da galt als Arbeit eigentlich nur Lohnarbeit.
Also der Mann, der morgens aus dem Haus ging, an einem anderen Ort arbeitete und dafür eben Geld bekam, während seine Frau, die zu Hause blieb, um ihre gemeinsamen Kinder großzuziehen, nach der allgemeinen Auffassung eben nicht arbeitete, weil sie dafür ja nicht entlohnt wurde.
Und es gehört mit Sicherheit zu den wichtigsten Errungenschaften der feministischen Bewegungen, diese Art von Tätigkeiten als Fürsorgearbeit oder Care-Arbeit zu bezeichnen und damit sichtbar zu machen, dass diese Fürsorgearbeit ja die Grundlage dafür ist, dass Männer ausgeruht und wohlernährt Karriere machen können und das kapitalistische System so am Laufen gehalten wird.
Und da ist es übrigens auch total egal, ob wir Fürsorgearbeit jetzt freiwillig erledigen oder uns dazu verpflichtet fühlen. Ob wir da Spaß dran haben oder das alles furchtbar anstrengend finden.
Wenn wir unsere Ressourcen anderen zur Verfügung stellen und damit vielleicht sogar noch ein ganzes System aufrechterhalten, dann arbeiten wir. Punkt.
Und dann sollten wir eben auch darüber sprechen, warum wir da eigentlich so wenig Anerkennung dafür erhalten, ob wir diese Arbeit überhaupt ohne Bezahlung leisten wollen und ob sie nicht viel mehr bezahlt werden sollte.
Und genau diese Perspektive brauchen wir nun eben auch für Social Media:
Selbst wenn das alles dort Spaß macht und wir es mehr oder weniger freiwillig tun, ändert es nichts daran, dass wir auf Social Media wieder unsere Ressourcen, also unsere Zeit, Energie, Kreativität und Emotionen und so weiter, anderen zur Verfügung stellen.
Dass im Grunde jeder Like, jeder Kommentar, jedes Stück Content, das wir auf Social Media posten oder mit dem wir interagieren, das Geschäftsmodell der Plattformen am Laufen hält.
Du weißt mit Sicherheit, dass es in diesem Geschäftsmodell immer nur darum geht, Daten zu sammeln. Das bedeutet, Ziel ist immer, dass Menschen so viel Zeit wie nur möglich auf Social Media verbringen.
Und es ist völlig egal, was du da genau machst, ob du da Marketing für dich machst, aktivistisch tätig bist oder dir einfach nur als Privatperson ein Video anschaust, in dem ein dreckiger Hund geduscht wird.
Daten sind Daten.
Wir können also etwas zugespitzt sagen:
Social Media ist ein männergemachter, profitorientierter Ort, und indem wir den Plattformbetreibern unsere Ressourcen zur Verfügung stellen, helfen wir mächtigen Milliardären dabei, noch reicher und noch mächtiger zu werden.
Stell dir nur mal vor, ab sofort würde niemand mehr auf Social Media posten.
Niemand würde sich Inhalte anschauen.
Niemand würde mit Inhalten interagieren.
Was würde dann passieren?
Die Plattformbetreiber hätten niemanden mehr, der Daten liefert, niemanden mehr, dem sie Werbung ausspielen könnten. Das heißt, sie hätten von einem Tag auf den anderen kein Unternehmen mehr.
Das heißt, sie sind auf uns angewiesen.
Es wird ja immer so getan, als wären wir alle auf Social Media angewiesen, als könnten wir alle ohne Social Media nicht existieren.
Aber es ist eigentlich genau umgekehrt:
Profitgetriebene Social-Media-Plattformen brauchen uns, sie brauchen unsere Daten, unsere Ressourcen und deshalb ist es doch nicht in Ordnung, dass wir diese Ressourcen den Plattformen kostenlos zur Verfügung stellen sollen.
Und wenn du jetzt denkst:
Diese Sicht ist doch total seltsam. Wir machen das doch alles freiwillig und weil es uns Spaß macht, noch einmal zur Erklärung:
Ob uns etwas Spaß oder nicht, ist irrelevant dafür, ob wir bezahlt werden oder nicht.
Denn was wäre die Alternative? Stell dir vor, du hast einen Auftrag oder ein Projekt, das du total toll findest – heißt das jetzt, dass du für diese Arbeit nicht bezahlt werden darfst, nur weil es dir halt zufällig Spaß macht?
Das ist natürlich totaler Blödsinn.
Und so ist es bei Social Media eben auch: Nur weil uns das Spaß macht, nur weil wir das freiwillig tun, nur weil wir davon vielleicht auch einen Vorteil haben, stellen wir immer noch Plattformen unsere Ressourcen zur Verfügung und sollten dafür kompensiert werden.
Ich hoffe, jetzt ist der Gedanke, dass Social Media Arbeit ist, nicht mehr ganz so abwegig.
Und ich gehe im Buch sogar noch einen Schritt weiter und unterscheide verschiedene Formen von unbezahlter Arbeit, die mit Social Media zu tun haben.
Das, was ich gerade schon beschrieben habe, nenne ich Contentarbeit.
Also alles, was mit Content zu tun hat, Content erstellen, posten, Videos drehen, aber auch Content konsumieren, kommentieren, auf Content reagieren.
Für viele ist das alles bereits zur täglichen Routine geworden. Ohne Vertrag, ohne Honorar, ohne Sicherheit, dass sich daraus überhaupt irgendetwas ergibt.
Und die Plattformen brauchen eben diesen stetigen Strom an Inhalten, um Daten generieren zu können und Menschen, die online sind, Werbung auszuspielen.
Eine zweite Form von unbezahlter Arbeit auf Social Media ist Emotionsarbeit.
Denn Social Media erzeugt permanent Gefühle. Das kann Freude sein und Inspiration, aber in sehr vielen Fällen eben auch Frust oder Neid oder Unsicherheit oder Traurigkeit.
Und natürlich müssen wir auch mit diesen Gefühlen irgendwie umgehen, wir müssen sie regulieren oder vielleicht auch mal verbergen.
Oder wir müssen die Gefühle, die wir abseits von Social Media fühlen, verbergen, um auf Social Media wiederum gut gelaunt und inspirierend rüberzukommen.
Zum Beispiel, wenn es uns gerade nicht gut geht, wir aber auf Social Media so tun, als wäre nichts, als wäre alles in Ordnung, weil wir beispielsweise gerade eine Kooperation am Laufen haben.
Und all diese Aspekte können wir als Emotionsarbeit bezeichnen.
Gerade Frauen leisten auf Social Media viel mehr Emotionsarbeit, weil sie häufiger bewertet, kommentiert oder angegriffen werden und sich gleichzeitig immer auch in der Rolle der „netten“ Frau halten müssen.
Denken wir zum Beispiel nur an Politikerinnen oder Aktivistinnen, die manchmal so viel Hate abkriegen, dass sie einen Coach brauchen, um mit diesem Hate überhaupt klarzukommen.
Ich glaub, dass wir auch hier unterschätzen, wie viel Energie und emotionale Regulierung Social Media eigentlich benötigt.
Die dritte Form der unbezahlten Arbeit auf Social Media ist ästhetische Arbeit.
Die müssen Frauen natürlich auch abseits von Social Media leisten. Nur verstärken soziale Medien die Notwendigkeit dafür, weil, das wird immer wieder auch in Studien gezeigt, Algorithmen normschöne Körper bevorzugen.
Wer davon abweicht, muss damit rechnen, schlechter ausgespielt zu werden.
Das ist für Privatpersonen schon blöd. Aber gerade wer Social Media jetzt beruflich nutzt, ist natürlich darauf angewiesen, dass Algorithmen einem wohlgesinnt sind, und natürlich wird man dann eher die ästhetische Arbeit leisten, statt das Risiko einzugehen, unsichtbar zu sein auf der Plattform.
Das ganze Thema Filter, Schminken, Schönheits-OPs kostet Zeit, Energie, Geld und verstehe ich deshalb als unbezahlte ästhetische Arbeit.
Eng damit verbunden ist die Selbstoptimierung, die vierte Form der unbezahlten Arbeit, auf die ich im Buch eingehe.
Dabei geht es mir nicht nur darum, dass Frauen permanent an sich selbst oder ihrem eigenen Verhalten arbeiten sollen, zum Beispiel, indem sie möglichst früh aufstehen und die berühmt berüchtigte Morgenroutine absolvieren, sondern auch um Themen wie Achtsamkeit.
Denn „Digital Detox“ und „Mindful Scrolling“ und so weiter – das alles sind Versuche, mit einem System klarzukommen, das uns eigentlich gar keine Ruhe lässt.
Wir arbeiten also daran, uns anzupassen, statt das System zu verändern.
Und schließlich ist da auch noch der Mental Load.
Denn Social Media hört nicht auf, wenn wir die App schließen. Viele denken auch, wenn sie offline sind, an potenzielle Inhalte, an Engagementraten, an Sichtbarkeit.
Ich weiß das noch von mir früher. Ich konnte im Grunde fast nichts mehr machen, ohne mich nicht auch gleichzeitig zu fragen, ob ich das in einer Story teilen soll oder ob das ein gutes Thema für einen Post wäre.
Wir kennen den Begriff „Mental Load“ ja vor allem in Zusammenhang mit unbezahlter Care-Arbeit, aber ich finde, er passt auch wunderbar zu Social Media.
Denn für eine funktionierende Social-Media-Präsenz ist es eben nötig, dass wir uns viele Gedanken machen, dass wir planen und organisieren und immer aufmerksam durchs Leben gehen und unseren Alltag auf potenziellen Content abklopfen.
Ja, das waren die fünf Formen unbezahlter Arbeit auf Social Media – Contentarbeit, Emotionsarbeit, ästhetische Arbeit, Selbstoptimierung, Mental Load.
Und zusammen ergeben diese Formen ein richtiges Netz, das das System Social Media stabil und am Laufen hält.
Diese feministische Brille, Social Media als Arbeit zu sehen, macht nichts automatisch besser. Aber sie bringt vielleicht ein Stück weit Klarheit hinein und kann vielleicht auch etwas entlasten.
Denn aus einem diffusen Gefühl der Anstrengung oder Überforderung oder Erschöpfung wird etwas Benennbares. Und Benennbares lässt sich leichter reflektieren, loslassen, neu ordnen – manchmal radikal, manchmal in sehr kleinen Schritten.
Sobald etwas „Arbeit“ heißt, lässt es sich auch begrenzen, bewerten, verhandeln und vielleicht sogar boykottieren.
Manche Aufgaben bekommen dadurch vielleicht einen klaren Platz. Also wenn ich mir bewusst mache, dass ich gerade arbeite, wenn ich „nur mal schnell“ ein Foto mache und das in einer Story teile, dann kann ich mich ja fragen, ob das an meinem Feierabend oder am Wochenende so eine gute Idee ist.
Vielleicht entstehen auch neue Fragen durch diese Perspektive, also:
Was kostet mich das alles?
Was bringt es mir?
Wann will ich diese Arbeit leisten und wann nicht?
Und: Ist es für mich überhaupt okay, dass ich dafür nicht bezahlt werde?
Oder will ich mir vielleicht andere Plattformen suchen?
Oder auf eine andere Art Marketing machen?
Und vor allem hoffe ich, dass diese Perspektive auf Social Media deutlich macht, dass Erschöpfung kein individuelles Versagen ist.
Sie ist eine Reaktion auf die Strukturen von Social Media, die permanente unbezahlte Arbeit von uns fordern.