Social Media löschen meets Feminismus
Am 25. August 2020 habe ich das letzte Mal etwas auf Instagram gepostet und am 21. September 2021 dann meinen Account gelöscht. TikTok, Facebook, Twitter und Pinterest folgten bald.
Ich ging diesen Schritt, weil ich merkte, dass mir soziale Medien nicht (mehr) gut taten.
Ja, Instagram und Co. haben einen mittlerweile unbestreitbaren negativen Effekt auf unsere Psyche. Doch wenn wir Instagram verlassen, weil wir merken, dass es uns nicht gut tut, dort zu sein – ist das eine Schwäche oder nicht viel mehr ein emanzipatorischer Akt?
Als ich im September 2021 dann endlich auf „Löschen“ klickte, war es für mich genau das: eine Möglichkeit, mich von dem Zwang zur Selbstoptimierung und dem chronischen Neid auf andere zu befreien und meine Selbstbestimmung zurückzugewinnen.
Denn die Sache mit der Selbstbestimmung ist die: Sie hört nicht auf, nur weil wir das „Real Life“ verlassen und die Welt der Likes und Selfies betreten.
Auch was Social Media angeht, haben wir die Wahl:
So wie wir entscheiden dürfen, ob wir Kinder mitten im Studium bekommen oder gar nicht, ob wir Ärztin werden oder eine Promotion abbrechen, ob wir uns als Frauen verstehen oder gar nicht erst im binären Geschlechtssystem verorten, ob wir Männer lieben oder einen queeren Menschen, dürfen wir auch wählen, wie wir mit Social Media verfahren:
Wir dürfen Social Media aktiv oder passiv nutzen und es toll finden. Wir dürfen es aber auch sein lassen und unser Leben völlig ohne Social Media gestalten. Wir haben die Wahl.
Deshalb ist das Thema „Social Media löschen“ ein feministisches Thema, auch wenn darüber noch zu wenig aus feministischer Perspektive geredet wird.
Vielleicht liegt das daran, dass soziale Medien vom Grundprinzip feministisch anmuten: Sie bieten Chancen zu mehr Diversität und Geschlechtergerechtigkeit; und im Gegensatz zur früheren Medienlandschaft gibt es – vermeintlich – keine Gatekeeper mehr, die darüber entscheiden, wer was und in welcher Form veröffentlichen darf.
Jede*r kann mit nur wenigen Klicks einen Account anlegen und die eigene Meinung kundtun; und sicherlich hat auch das dazu geführt, dass feministische Themen in den letzten zwei Jahrzehnten entmystifiziert und einem größeren Publikum zugänglich gemacht wurden.
Doch was ist, wenn wir einen zweiten Blick auf Social Media riskieren und uns die Menschenbilder, Strukturen und Mechanismen dahinter anschauen?
Was ist, wenn wir uns fragen, was soziale Medien mit Menschen anstellen und ob sie menschliche Kommunikation zum Guten verändern?
Was ist, wenn wir uns die Frage erlauben, ob soziale Netzwerke – neben der Tatsache, dass sie zweifelsohne viele Menschen ermächtigen – nicht auch ein Diskriminierungssystem sind, das Frauen ausbeutet, abwertet und Stereotype und veraltete Rollen reproduziert?
Ist es vor dem Hintergrund der Funktionsweise von sozialen Medien wirklich so „krass“, „radikal“ oder „kontraproduktiv“, Social-Media-Kanäle zu löschen, oder nicht eher absolut verständlich und vielleicht sogar … folgerichtig?