Unbezahlte Arbeit auf Social Media – Teil 3: Emotionsarbeit

Wer Social Media nutzt, kommt oft mit einer ganz besonderen Form der unbezahlten Arbeit in Berührung: der Emotionsarbeit. Denn durch die Bewertungssituationen und den ständigen Druck, positiv zu sein, entstehen Gefühle wie Unzulänglichkeit oder Gedanken wie „Ich bin nicht gut genug“.

Und mit der Emotionsarbeit müssen wir unsere Gefühle dann regulieren, kontrollieren und modifizieren

Was macht das mit uns?

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In den letzten Folgen ging es bereits um das Thema unbezahlte Arbeit auf Social Media. Ich habe dir in der Folge vor zwei Wochen kurz erzählt, warum das Thema gerade für Frauen so wichtig ist. In der letzten Folge ging es um das Thema unbezahlte Contentarbeit. Und in der Folge heute möchte ich über Emotionsarbeit sprechen.

Und mein Vorschlag ist, dass, wenn du dir die letzten beiden Folgen noch nicht angehört hast, dass du vielleicht mal reinhörst. Denn ich werde mich in der Folge heute und auch in den kommenden Folgen immer wieder auf einzelne Gedanken beziehen, die ich in den letzten Episoden geteilt habe.

Also gut: Emotionsarbeit.

Ich muss zugeben, dass ich diesen Begriff zwar schon vor einiger Zeit gehört habe, aber irgendwie immer drübergelesen habe. Und erst vor Kurzem hab irgendwie gedacht: Okay, was ist das jetzt für ein Konzept und was können wir damit erklären?

Und ich bin wirklich sehr froh, dass ich das gemacht habe, weil das Konzept der Emotionsarbeit ein sehr mächtiges Werkzeug ist, um zu verstehen, warum uns soziale Medien zum Beispiel so erschöpfen und auslaugen und stressen

Auch bei der Emotionsarbeit ist es so, du ahnst es vermutlich schon, dass uns niemand diese Art von Arbeit vergütet. Das heißt, neben der Contentarbeit gibt es noch einen zweiten großen Bereich, in den wir unsere Zeit, unsere Energie und manchmal auch unser Geld stecken, für den wir aber kein Geld kriegen.

Auch wenn du das Wort Emotionsarbeit vielleicht noch nicht kennst, bin ich mir sehr sicher, dass du bereits Bekanntschaft mit dieser Art von Arbeit gemacht hast. Vor allem auf Social Media. 

Emotionsarbeit ist, wenn du beispielsweise locker-flockig in die Kamera für eine Instastory sprichst und den Anschein erweckst, als wärst du bester Laune, obwohl gerade etwas in deinem Leben passiert, das alles andere als toll ist.

Also angenommen, dir geht es gerade finanziell nicht gut oder eine Freundin oder ein Familienmitglied ist ernsthaft erkrankt oder – es muss auch nicht gleich so dramatisch sein – du hast gerade einfach eine Absage bekommen für ein Projekt, auf das du dich gefreut hast und mit dem du schon gerechnet hast. Und du fühlst dich einfach etwas down.

Und wenn du in solchen Momenten deine Gefühle wie Frust oder Traurigkeit oder Sorge oder vielleicht sogar Wut nicht zeigst, sondern auf Social Media so tust, als wäre alles wie immer, geht es nicht einfach so mit einem Fingerschnippen, sondern ist im Grunde Arbeit, für die du Energie und Zeit brauchst. 

Und genau das macht den Kern von Emotionsarbeit aus. Wir kontrollieren, regulieren oder modifizieren unsere Gefühle. Sehr häufig tun wir das, um bestimmte soziale Erwartungen zu erfüllen.

Und natürlich ist es so, dass Emotionsarbeit erst einmal nichts Schlechtes ist, im Gegenteil. Emotionsarbeit ist wichtig für das Funktionieren einer Gesellschaft. Egal, in welche Gemeinschaften wir gucken, ob es jetzt Familien sind oder andere Formen von Gruppen, ist es wichtig, dass es Menschen gibt, die empathisch sind oder in der Lage sind, in Konflikten zu vermitteln zum Beispiel.

Doch das Problem an Emotionsarbeit ist wie so oft, dass diese Arbeit in der Regel von Frauen geleistet wird, weil sie eben meistens in Berufen tätig sind, die diese Art von Arbeit erfordern. Oder sie diejenigen sind, die sich um Kinder kümmern oder Angehörige pflegen. Und meistens wird diese Art von Arbeit nur sehr schlecht vergütet oder eben gar nicht vergütet. 

Das heißt, niemand bezahlt uns dafür, dass wir Fürsorgearbeit leisten und niemand bezahlt uns dafür, dass wir auf Social Media Emotionsarbeit leisten.

Und die hat es ganz schön in sich, finde ich. Weil sie auf so vielen verschiedenen Ebenen stattfindet.

Zum Beispiel: das Thema Vergleichen.

Es ist zwar so, dass Vergleichen etwas Menschliches ist und auch verschiedene Funktionen erfüllt. Doch weil wir auf Social Media auf einmal unzähligen Menschen folgen können und uns ihre Accounts angucken können, können wir das erste Mal in der Menschheitsgeschichte uns mit so vielen Menschen vergleichen wie noch nie zuvor.

Im Grunde jeden Aspekt unseres Lebens: unsere Körper, unsere Häuser oder Wohnungen, unser Einkommen, unsere Haustiere, die Größe unseres Teams, unsere Reiseziele usw.

Diese permanenten Vergleiche führen dazu, dass wir permanent Gefühle spüren wie Unzulänglichkeit und Gedanken haben wie „Ich bin nicht gut genug“. Und das ist alles andere als banal, sondern das braucht enorm viel von uns, mit diesen Gefühlen und Gedanken umzugehen und sie zu regulieren. Und diesen Aufwand, den wir tagtäglich betreiben müssen, kostet uns extrem viel Energie und Zeit und Nerven und Platz im Hirn usw.

Ein anderes Beispiel sind die Bewertungen. Wir befinden uns auf Social Media permanent in Bewertungssituationen. Wenn wir etwas posten, bekommen wir sofort Feedback darauf. Entweder weil Menschen etwas liken oder weil sie etwas nicht liken und wir denken „Warum liket das niemand?“. Manchmal kommentieren Menschen unsere Posts. Und oft sind das nette Worte, manchmal aber auch völlig nichtssagende Worte und manchmal sogar nicht so nette Worte. 

Doch egal, wie die Bewertung ausfällt, wir müssen damit eben klarkommen.

Ich finde diesen Punkt immer ein bisschen seltsam, weil super viele Menschen nicht so großer Fan von Prüfungssituationen sind. Weil es einfach nicht angenehm ist, wenn Menschen, das, was man sagt oder tut, bewerten. Und wir machen alle immer drei Kreuze, wenn das Abi oder die Fahrprüfung oder das Examen rum ist. Wenn wir es geschafft haben.

Doch auf Social Media begeben wir uns täglich freiwillig in diese Situationen, wo immer Urteile über uns gefällt werden. Das heißt, wir geben anderen Menschen die Macht, uns zu sagen, wie gut wir etwas machen, ob wir gut genug aussehen und ob unsere Ansichten die richtigen sind oder nicht.

Und auch hier entstehen durch diese Bewertungssituationen permanent Gefühle und sehr häufig nicht angenehme Gefühle. 

Und nicht selten knüpfen wir das, was andere Menschen über uns auf Social Media sagen, an unseren Selbstwert. Und wenn das Urteil dann negativ ausfällt, denken wir auch negativ über uns.

Also eine sehr komplexe Angelegenheit das Ganze. Doch es gibt noch viele weitere Formen der Emotionsarbeit auf Social Media.

Z.B die Inszenierung.

Wir müssen ständig abwägen, wie wir uns in den sozialen Medien darstellen wollen. Welches Bild wir von uns zeigen wollen. Ob wir Dinge beschönigen, anders darstellen, vielleicht sogar es mit der Wahrheit nicht so ganz ernst nehmen. Und auch das erfordert natürlich permanente Emotionsarbeit.

Klassisches Beispiel von Selbstständigen ist: Gerade läuft es nicht so gut und wir zweifeln an uns. Doch auf Instagram geben wir uns als Expertin und ja, tun so, als hätten wir diese Selbstzweifel gar nicht.

Warum ist das Ganze jetzt nun ein Problem?

Zunächst einmal:

Weil Emotionsarbeit auch Arbeit ist. Selbst wenn sie nicht bezahlt, nicht gewertschätzt und oft auch nicht gesehen wird, erfordert Emotionsarbeit unsere Zeit, unsere Energie und manchmal sogar auch unser Geld.

Das kann dazu führen, dass wir uns müde fühlen, erschöpft und ausgebrannt. Selbst wenn wir nicht viele Termine haben und eigentlich nur im Homeoffice arbeiten, geht es uns dann einfach nicht gut. Und das kann damit zu tun, dass wir auf Social Media eine Menge Emotionsarbeit leisten müssen, die uns erschöpft.

Damit ist auch das Konzept der emotionalen Dissonanz verknüpft.

Emotionale Dissonanz tritt auf, wenn es eine Spannung gibt zwischen den tatsächlichen Emotionen und den Emotionen, die gezeigt oder ausgedrückt werden.

Klassisches Beispiel: Aufgrund einer Trennung oder eines Todesfalls ist jemand zutiefst traurig, zwingt sich aber dazu, auf Instagram „Good Vibes“ zu versprühen und Inspirationszitate zu posten. 

Das erzeugt einen inneren Konflikt, der dann noch mehr Emotionsarbeit benötigt.

Manchmal kann der Erwartungsdruck auf Social Media, ständig gut gelaunt zu sein, sich bis ins Toxische steigern, was wiederum zu verstärkter Emotionsarbeit führen kann. 

Denn die Erwartung, immer glücklich oder positiv zu sein, heißt oft, die tatsächlich erlebten Gefühle zu unterdrücken oder zu verstecken.

Soziale Medien haben Emotionsarbeit natürlich nicht erfunden. Doch sie verstärken die Notwendigkeit, zusätzliche Emotionsarbeit zu leisten und sie nicht zu vergüten.

Und manchmal geht es da auch gar nicht nur um unsere Zeit und unsere Energie, sondern auch um viel Geld. Denn es gibt immer wieder Fälle von digitaler Gewalt auf Social Media, mit denen Betroffene nicht mehr alleine zurechtkommen und dann professionelle Hilfe brauchen, z.B. in Form eines Coachings, um mit dem Hass, der ihnen auf Social Media entgegenschlägt, überhaupt zurechtzukommen.

Ja. Das war ein kleiner Abriss zum Thema Emotionsarbeit auf Social Media. Und nächste Woche möchte ich über eine weitere Form von unbezahlter Arbeit auf Social Media sprechen.

Und das ist die ästhetische Arbeit.

Shownotes:

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