Wie schreibe ich mein erstes Buch, Sinem Straughan?

Sinem Straughan hat etwas geschafft, wovon viele Menschen träumen: ein Buch zu schreiben und bei einem Publikumsverlag zu veröffentlichen

Im Interview verrät sie, wie sie Zeit zum Schreiben findet, warum die meisten Probleme in unserem Denken über den Schreibprozess liegen (und nicht im Schreibprozess selbst) und wie es Autorinnen und Autoren gelingen kann, einen Verlag für ihr Buch zu finden.


Liebe Sinem, du bist nicht nur Autorin, sondern auch selbstständige Copywriterin und du hast einen Sohn, zwei Hunde 🐕 und eine Katze. Wie findest du da überhaupt Zeit zum Schreiben? 

Ich habe jahrelang überhaupt nicht geschrieben – obwohl ich vielleicht die Zeit gehabt hätte. Damals waren es aber eher innere Glaubenssätze, die mich davon abgehalten haben, wie zum Beispiel, dass ich das gar nicht kann oder dass nur andere schreiben dürfen, aber ich nicht. Die Literaturszene erschien mir viel zu weit entfernt – und vor allem für mich als Arbeiterkind mit Migrationshintergrund doppelt so weit weg.

Doch auch als ich nach einer Krise das kreative Schreiben wieder in mein Leben gelassen habe, hatte ich immer wieder große Schwierigkeiten, dran zu bleiben. Dadurch, dass ich tagsüber für Kund*innen texte, fiel es mir doppelt so schwer, mich zum Beispiel abends noch hinzusetzen und an meinem eigenen Buch zu arbeiten. Oft habe ich dann zwischendrin mal geschrieben oder am Wochenende – doch nie habe ich eine richtige „Routine“ gefunden, sondern mich eher mit einem schlechten Gewissen rumgeplagt. Ich wollte doch schreiben – warum nur schaffte ich es nicht, mich jeden Tag zu disziplinieren? Immer wieder verlor ich den Faden, ertappte mich dabei, wochen- oder sogar monatelang nicht geschrieben zu haben.

Schließlich habe ich mich intensiv mit meinem vermeintlichen Zeitmangel beschäftigt und herausgefunden, dass es nicht die Zeit oder Disziplin waren, die mir fehlten, sondern der Mut. Ich stellte fest, dass ich eigentlich große Angst davor hatte und vor allem Angst vor den intensiven Gefühlen, die beim Schreibprozess oft entstehen können.

Seitdem schreibe ich jeden Tag – und kann gar nicht mehr glauben, dass es mir einmal so unmöglich erschien. 

Viele träumen davon, ihr eigenes Buch zu schreiben, stellen aber schnell fest, dass das in der Praxis gar nicht mal so leicht ist. Was, glaubst du, sind die Gründe, dass viele frustriert wieder aufgeben?

Zunächst einmal denke ich, dass wir alle viele, viele Geschichten in uns tragen und diese in verschiedensten Formen Ausdruck finden können. Das muss manchmal gar kein Buch sein, das kann auch ein Blog oder eine andere Form von kreativer Betätigung sein.

Doch manche Menschen spüren recht stark (und das auch schon seit langer Zeit, wenn nicht schon immer), dass sie gerne ihr eigenes Buch schreiben würden. Einen Roman, ein Kinderbuch oder auch Kurzgeschichten.

Am Anfang ist die Motivation oft recht hoch und man sieht sich selbst schon fast mit dem fertigen Produkt in der Hand, bevor man überhaupt erst einen Satz niedergeschrieben hat. Vollkommen normal! Doch nach einer Weile, oft nach einem euphorischen Anfang, erreicht man den, wie es so schön heißt „saggy middle“, wo nichts mehr geht. Wo man sich in eine Sackgasse geschrieben hat und auf einmal gar nicht mehr weiß, wie man nun weitermachen soll.

Dann kann es durchaus passieren, dass man das Geschriebene erst einmal weglegt und vielleicht die ersten Zweifel auftauchen. Kann ich das überhaupt? Oder war das vielleicht nur ein Hirngespinst? Dann ertappt man sich dabei, wie andere Dinge plötzlich wichtiger werden. Zum Beispiel der Alltag mit Job, Kind etc., der überhand nimmt und man eigentlich gerade „keine Zeit“ dafür hat.

Manche wiederum haben eine Riesenangst vor dem weißen Blatt und kommen erst gar nicht an diesen Punkt – sie wissen nicht, wo anfangen und geben dann frustriert wieder auf. Sie alle eint aber eine Tatsache: Unwissenheit über den Schreibprozess und die Angst vor dem Scheitern. Die Angst, etwas Schlechtes zu schreiben, es gar nicht zu können, es nie schaffen zu werden etc.

Nur wenige bleiben dran und kämpfen sich mühsam durch. Und ja, es ist mühsam und oft zum Haareraufen. Es gibt viele Mythen über das Schreiben und eine davon ist, dass es sofort quasi wie gedruckt aus der Feder (bzw. Tastatur) fließen müsste. Und wenn es diesem Idealbild nicht sofort entspricht, dann ist man wahrscheinlich auch gar kein*e Autor*in. 

Welche Erfahrungen hast du mit Schreibprogrammen und -kursen für angehende Autorinnen und Autoren gemacht?

Ich habe einiges im deutschsprachigen Raum ausprobiert und für mich festgestellt, dass sie mich nicht wirklich weitergebracht haben. Im Gegenteil, ich hatte eher das Gefühl, dass man schon sehr früh im kreativen Schaffensprozess zu viel von sich zeigen musste. Dinge, die eigentlich nur für meine Augen gedacht sein sollten.

Ich konnte nie verstehen, warum ich den ersten Entwurf von etwas, das gerade erst in mir reift, schon zum „Kritisieren“ freigeben musste. Manche würden jetzt behaupten, dass man ja immer etwas dazulernen kann. Und jede konstruktive Kritik dankbar angenommen werden sollte. Ja, das ist auch richtig. Aber bitte erst, wenn ich den Text selbst ein paar Mal bearbeitet habe und das Gefühl habe: „Mehr geht nicht. Nun brauche ich ein Paar Augen, das mir vielleicht neue Perspektiven schafft.“

Ich vergleiche das immer gerne mit einem Embryo, der gerade im Mutterbauch heranwächst. Stell dir vor, Außenstehende begutachten ihn schon, bevor er überhaupt fertig ausgewachsen ist, und bemängeln, was ihm denn alles fehlt. Auch dir fällt dann auf, dass vieles noch nicht stimmig ist. Als Mutter sitzt du dann da und fühlst dich schuldig, bevor dein „Buchkind“ überhaupt das Licht der Welt erblickt. Du spürst eigentlich selbst, dass es noch etwas Zeit braucht, bevor die anderen es sehen sollten.

Wie sagte Hemingway so treffend: „The first draft of everything is shit.“

Lasst uns bitte selbst die Erlaubnis geben, ein paar Runden schlecht zu schreiben, denn das ist ganz normal und das muss so sein. Erst danach legen wir frei, was wirklich in dieser Geschichte schlummert. Stell dir vor, du stehst in einem Wald vor einem großen steinernen Haus ohne Fenster, ohne Türen. Es gibt keinen Weg zurück, du willst wissen, was in diesem Haus steckt. Doch anfangs kannst du nur mit den Fingerspitzen über die Ritzen im Stein fahren, in der Hoffnung, irgendwo einen versteckten Hinweis zu finden. Mit der Zeit, nachdem du die Mauern hunderte Male abgetastet hast, entdeckst du Dinge. Das ist das Schreiben für mich. 

Autorin Sinem Straughan (Sasmaz)

Autorin Sinem Straughan

 

Du hast mir mal gesagt, dass die meisten Probleme in unserem Denken über den Schreibprozess liegen und nicht im Schreibprozess selbst. Was genau meinst du damit? 

Schreiben ist meiner Meinung nach zu 80% Kopfsache und 20% Handwerk und Übung.

Ich glaube, viele Autor*innen setzen sich unglaublich unter Druck beim Schreiben und erwarten vom Erstlingswerk und vom ersten Entwurf, dass alles schon sitzen muss. Dass die Dialoge perfekt sind, die Beschreibungen atemberaubend poetisch und der Plot nur so dahin fließt.

Doch die Realität sieht anders aus: Viele Autor*innen schreiben den ersten Entwurf, um sich selbst erst einmal die Geschichte zu erzählen und herauszufinden, worum es darin überhaupt geht. Manche bezeichnen das sogar als „Zero Draft“. Man sollte die Geschichte einmal durcherzählen und wirklich beenden, bevor man das große Ganze sehen kann. Das Buch wird sich vermutlich noch stark ändern und unzählige Male überarbeitet werden – das heißt, es ist gar nicht möglich, beim ersten Mal alles perfekt zu machen. (Außer, man heißt vielleicht Steven King.😊) Dieser Erwartungsdruck zwingt einige in die Knie, bevor sie den ersten Entwurf überhaupt fertig schreiben.

Auch ich habe mich lange mit diesen Gedanken herumgequält und bin auch heute nicht davor gefeit. Diejenigen, die den ersten Entwurf tatsächlich beenden, sind vielen, vielen anderen einen Riesenschritt voraus. Sie haben etwas, womit sie arbeiten können. Du brauchst eine gewisse Menge an Text, die du schleifen und revidieren kannst. Du kannst ein weißes Blatt nicht besser machen, einen mittelmäßigen Textentwurf jedoch schon! 

Wann ist der richtige Zeitpunkt, seinen Entwurf jemandem zu zeigen? Oder sich an eine Agentur oder einen Verlag zu wenden?

Ich würde meinen ersten Entwurf mindestens ein, zweimal überarbeiten und erst, wenn ich das Gefühl habe, der Plot und die Charakterentwicklung stimmen und ich kann dem selbst gerade nichts mehr hinzufügen, würde ich damit rausgehen.

Wovon ich unbedingt abraten würde, ist, in der ersten Euphorie einen Entwurf rauszuschicken, der noch nicht vorzeigefähig ist. Wenn du selbst also das Gefühl hast, eigentlich stimmen da ein paar Sachen noch nicht und du bist noch nicht zu 100% zufrieden damit, dann lieber noch einmal rangehen.

Was nämlich einige Autor*innen tun: Sie schicken den ersten Entwurf an Agenten oder Verlage, dann aber E-Mails mit Manuskript-Updates hinterher, weil ihnen noch einfiel, dass da unbedingt was geändert werden müsste. Agenturen und Verlage werden diese Updates nicht berücksichtigen und es wird auch leider überhaupt nicht gerne gesehen. Ich weiß selbst, wie es ist, wenn man ungeduldig wird, weil man schon längere Zeit an dieser Geschichte saß und endlich damit rausgehen möchte. Aber man tut sich selbst und dem Buch keinen großen Gefallen, wenn man es vor seiner Zeit verschickt. 

Viele Schreiberlinge stehen vor der Entscheidung: Verlag oder Selfpublishing? Warum hast du dich für den Verlagsweg entschieden?

Ich habe damals überhaupt nicht in Erwägung gezogen, selbst zu publizieren. Das erschien mir auch viel zu viel Arbeit, denn ich weiß, dass man als Selfpublisher ja alle anfallenden Dinge selbst machen muss. Angefangen beim Druck, beim Sales, den Vertriebskanälen aber auch dem eigenen Marketing wie zum Beispiel Social Media – das wäre mir zu viel.

Und die Zeit würde ich lieber nutzen, um weitere Geschichten zu schreiben. Ich bewundere aber alle, die diesen Weg gehen und damit erfolgreich sind. Es gehört viel Selbstdisziplin und Geschick dazu, das alles zu stemmen – auch finanziell.

Ich finde auch, Selfpublisher stehen traditionellen Verlagen in nichts nach – sie haben sich einfach nur entschieden, ihr Glück selbst in die Hand zu nehmen und dafür erhalten sie ja dann auch mehr.

Wie hast du den passenden Verlag für dein Buch gefunden? Und welche Tipps würdest du Autor*innen geben? 

Um ganz ehrlich zu sein, habe ich mir alle passenden Verlage im DACH-Raum rausgesucht und ihnen mein Expose und den Text geschickt. Das waren so an die 40. Von ca. 20 kam eine Absage, was mich überhaupt nicht gewundert hat, schließlich habe ich nicht daran geglaubt, dass man beim ersten Mal so viel Glück haben kann. Zwei Jahre vergingen und ich hatte das Buch eigentlich schon vergessen, als ich gerade in der Arbeit saß und meine E-Mails checkte.

Meine jetzige Lektorin schrieb mir darin, dass sie die Geschichte durch Zufall aus einem Stapel eingesandter Manuskripte gefischt hätten. Und kurzum: Sie würde sie gerne realisieren, ob ich Lust hätte, zu telefonieren? Da zog es mir erst mal den Boden unter den Füßen weg, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Aber es erschien mir schon wie ein Zeichen vom Schicksal, denn ich hatte so viel Mut sammeln müssen, um überhaupt zu schreiben und etwas davon zu zeigen. Ich fühlte mich, als hätte mich da draußen im Universum jemand gehört. Das werde ich nie vergessen!

Vielen Dank fürs Interview, Sinem!

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