Ein kritischer Blick auf Social-Media-Coaches

In dieser Podcastfolge geht es um ein Thema, das mir schon länger unter den Nägeln brennt:

Social-Media-Coaches

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Ja, heute will ich eine Podcastfolge lang nur über Social-Media-Coaches reden.

Warum?

Weil sie aus meiner Sicht einen großen Anteil daran haben, dass Selbstständige und Unternehmen glauben, unbedingt Social Media fürs Marketing zu brauchen.

Du hast es bestimmt auch schon mal irgendwo gehört beziehungsweise gelesen:

  • Ein Instagram-Coach sagt, dass Selbstständige, die Instagram nicht nutzen, die Möglichkeit verpassen, neue Menschen zu erreichen. 

  • Eine TikTok-Beraterin betont, dass es für Unternehmen ohne TikTok heutzutage einfach nicht mehr geht. 

  • Ein Facebook-Ads-Berater kennt keine bessere Möglichkeit, die Reichweite zu vergrößern als mit Facebook-Ads.

  • Eine Influencerin schwört auf ihre große Social-Media-Community und betont immer wieder, dass ohne sie gar nichts mehr bei ihr geht.

Ich will dir in dieser Folge vier Gründe nennen, warum wir solche Aussagen immer mit einer guten Prise Vorsicht genießen sollten.

Ich rede hier übrigens nicht als Außenstehende. 

Ich selbst war mehrere Jahre lang als Pinterest-Beraterin tätig und weiß deshalb sehr genau, warum man als Social-Media-Beraterin bestimmte Aussagen von sich gibt. 

Wirtschaftliche Interessen

Und Grund Nummer #1 ist, dass wirtschaftliche Interessen dahinterstehen.

Instagram-Coaches sagen ja in der Regel nicht:

„Instagram ist toll. Nutzt alle Instagram. Googelt doch einfach mal nach Tipps, es gibt schon so viel Zeugs da draußen“.

Sie sagen ja:

„Instagram ist toll. Nutzt alle Instagram. Ach, und übrigens: Nächste Woche startet mein Instagram-Kurs. Melde dich jetzt an.“

Mir geht es jetzt nicht darum, wirtschaftliche Ambitionen in der Marketingberatung zu kritisieren. Die haben grundsätzlich ja alle Selbstständige und Unternehmen. Egal, ob sie als Marketingberaterin arbeiten oder als Yogalehrer. Und ich hab sie natürlich auch.

Mir geht es vielmehr darum, noch einmal explizit daran zu erinnern, dass Empfehlungen, bestimmte Social-Media-Kanäle zu nutzen oder gar Social Media im Allgemeinen zu nutzen, nicht im luftleeren Raum existieren, sondern sie sind eben in wirtschaftliche Interessen eingebunden. 

Natürlich betonen Coaches und Berater*innen die Vorteile einer Plattform, wenn sie dazu passende Produkte verkaufen. 

Und natürlich ist es für sie vorteilhafter, diese Plattformen dann als das Nonplusultra darzustellen als ein Eingeständnis, dass es theoretisch auch ohne ginge. 

Deshalb sind pauschale Empfehlungen und ein überschwängliches Lob einer Plattform immer mit einer guten Portion Vorsicht zu genießen. 

Sie sind keine Ratschläge von unabhängigen Stellen wie dem Verbraucherschutz oder einer „Stiftung Marketingtest“, wenn es sie denn gäbe, sondern von Menschen mit unternehmerischen Ambitionen.

Wir sind sehr schnell dabei, etwas als Fakt anzusehen. 

Doch Botschaften wie „Du brauchst unbedingt Instagram“ oder „Ohne Instagram geht heutzutage gar nichts mehr“ sind keine unumstößlichen Wahrheiten, sondern erst einmal:

Marketingbotschaften.

Die Berater*innen oder Agenturen verbreiten diese Thesen, um ihre Dienstleistungen oder Angebote zu verkaufen.

Nicht mehr und nicht weniger.

Content-Marketing

Grund Nummer #2 ist das Thema Content-Marketing.

Ich glaub, es ist wichtig, sich noch einmal bewusst zu machen, dass Social-Media-Coaches und -Berater*innen ja auch für ihre eigenen Produkte und Dienstleistungen Content-Marketing betreiben.

Das bedeutet:

Sie identifizieren ein Problem, das Selbstständige haben, zum Beispiel:

„Ich erreiche zu wenige Menschen.“ 

„Ich bin online zu wenig sichtbar.“ 

„Ich verkaufe zu wenig.“ 

Und dann erstellen sie – passend zu dem Problem – Content, der dann ihren Ansatz – Social Media – als perfekte Lösung präsentiert: 

Instagram. 

TikTok. 

Facebook. 

Oder was auch immer.

Du kennst diese Posts, diese Reels und Storys und so weiter bestimmt auch:

  • „5 Gründe, warum dein Business Instagram braucht“

  • „Hast du das Gefühl, Instagram bringt nichts? Dann machst du diese Fehler!“

  • „Instagram funktioniert nur für Influencer*innen? Falsch!“

  • „Wie du in 30 Tagen eine loyale Community auf Instagram aufbaust“

  • „Wie Anna durch Instagram ihren Umsatz verdreifachte“

  • „Schreib mir dein größtes Instagram-Problem – ich helfe dir!“

Daneben gibt es noch Erfolgsgeschichten, Behind the Scenes – das volle Programm eben. 

Dieser Content läuft IMMER darauf hinaus, dass wir erkennen, dass Instagram oder eine andere Social-Media-Plattform die beste Marketingstrategie ever ist.

So ist eben Content-Marketing.

Instagram-Coaches sagen uns nicht: Hier ist mein Kurs – kauf ihn!

Nein, sie erzählen Geschichten.

Sie interviewen ehemalige Kund*innen.

Sie teilen Tipps, Tricks, Hacks, Strategien.

Nun will ich damit nicht sagen, dass das alles eine Lüge ist. Überhaupt nicht.

Ich glaube einfach nur:

Wir sollten die These, dass Instagram oder andere Social-Media-Kanäle das Nonplusultra für alle Selbstständigen und Nischen ist, immer eben auch als Teil des Content-Marketings von Social-Media-Coaches begreifen.

Und wir sollten uns fragen, ob diese allgemeinen, pauschalen Marketingbotschaften wirklich auch für uns funktionieren.

Ja, es kann sein, dass wir mit Instagram eine Plattform finden, die uns liegt, und dass wir dort Menschen finden, die sich für unsere Themen interessieren, und mit ganz viel Glück, dass auch die Algorithmen uns wohlgesinnt sind.

Das kann alles sein. 

Es kann aber eben genauso gut sein, dass wir uns Monate oder gar Jahre bemühen, aber keine Erfolge sehen.

Bei mir war das zum Beispiel so: Instagram hat mir rein gar nichts gebracht.

Und vielleicht ist es auch bei dir so. Das musst du für dich einschätzen.

Fehlende Komplexität

Was uns gleich zu Grund Nummer #3 bringt: Auf Social Media ist nur selten Raum für komplexe Botschaften da.

Lass mich raten: Dass du Social Media brauchst, hörst du vermutlich vor allem von jemandem, dem oder der du auf Social Media folgst.

Du liest ihre Posts.

Du schaust dir ihre Reels und Storys an.

Bist dabei, wenn sie live geht.

Diese Formate lassen aber leider meist nur sehr, sehr wenig Raum für komplexe Gedanken. Denn sie sind in der Regel ja zeitlich oder räumlich begrenzt.

Eine Caption darf maximal 2.200 Zeichen haben.

Eine einzelne Story maximal 15 Sekunden lang sein.

Wie soll auf so wenig Raum differenziert oder abgewogen werden?

Natürlich werden Social-Media-Coaches eher einfache, zugespitzte Aussagen wählen wie:

„5 Gründe, warum dein Business Instagram braucht“

Das lässt sich dann so schön in Slides darstellen. Oder wie auch immer darstellen.

Auch Algorithmen mögen kurze, prägnante Inhalte, die sich gut konsumieren lassen. Und natürlich erstellen Social-Media-Coaches die Inhalte, die Algorithmen wollen. Sonst wären sie ja keine erfolgreichen Social-Media-Coaches.

Da soziale Medien eben so sind, wie sie sind, neigen Menschen dazu, und Social-Media-Coaches sind da eben auch keine Ausnahme, vereinfachte, unterkomplexe Botschaften zu teilen und nicht allen Situationen und Szenarien gerecht zu werden.

Deshalb hören wir natürlich öfter:

„Du brauchst Social Media, wenn du selbstständig bist.“

Als:

„Es kommt darauf an.“

Fehlende Neutralität

Und schließlich Punkt Nummer #4: Social-Media-Coaches holen sich oft ihre Infos von den Plattformen selbst.

Bei mir war das zum Beispiel damals als Pinterest-Beraterin so:

Ich war in der Pinterest-Community.

Ich hab mit anderen Mitgliedern der Pinterest-Community Infos oft als erste erhalten. Und wir durften neue Funktionen oft als erste testen. Und wir wurden auf Pinterest-Events eingeladen. 

Und es ist ein bisschen peinlich, das im Nachhinein so zuzugeben, aber ich war auch ein bisschen stolz darauf.

Und natürlich habe ich die Infos, die ich da erhalten habe, auch gerne verbreitet. Nach dem Motto:

„Pssst … Hier ist eine brandneue Info, direkt von Pinterest.“

Wenn Pinterest gesagt hat: 

„Wir führen ein neues Format ein. Das wird super.“

Dann haben es die meisten eben auch genauso weitergeben:

„Pinterest führt ein neues Format ein. Das wird super.“

Ich weiß es natürlich nicht und kann meine Hand dafür nicht ins Feuer legen. Aber ich glaube eben, dass ich da nicht die Ausnahme war. Ich glaube, dass es ganz vielen Social-Media-Coaches ähnlich geht. 

Dass sie nur wenig Distanz zu den Plattformen haben, zu denen sie beraten. Sie sind überzeugt von diesen Plattformen. Das dürfen sie ja auch gerne sein. Sie dürfen da gerne all ihre Leidenschaft reinstecken. Nur leider leidet darunter eben manchmal auch die Kritik- und Reflexionsfähigkeit. 

Und das sollten wir einfach auf dem Schirm haben.

Wenn du dich also schon immer gefragt hast, warum auf Social Media immer behauptet wird, dass Selbstständige UNBEDINGT Social Media brauchen, hoffe ich, dass ich in dieser kurzen Podcastfolge für etwas Klarheit gesorgt habe:

  1. WEIL wirtschaftliche Interessen dahinter stehen und Social-Media-Coaches meistens ein Produkt haben, das sie mit dieser These verkaufen wollen.

  2. WEIL diese Botschaften im Rahmen von Content-Marketing verbreitet werden und Content-Marketing nun mal das Ziel hat, Inhalte so auszuwählen, dass wir das Produkt als Lösung für unser Problem begreifen.

  3. WEIL es drittens auf Social Media nur wenig Raum für Komplexität gibt und Social-Media-Coaches sehr häufig auf vereinfachte, unterkomplexe Botschaften zurückgreifen.

  4. und WEIL viertens Social-Media-Plattformen eine These in die Welt setzen und Social-Media-Coaches sie sehr häufig einfach unreflektiert weiterverbreiten.

Falls du gerade überlegst, ein Social-Media-Coaching oder eine Marketingberatung zu buchen, wollte ich dir mit dieser Folge nicht sagen: „Tue es nicht!“

Aber ich wollte dir in Erinnerung rufen, dass wir unbedingt unser Hirn mitnehmen und all diese Faktoren auf dem Schirm haben sollten.

Shownotes

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Buch „No Social Media!“

Buch „Don’t be evil“

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