Instagram ist weird
Früher dachte ich immer, ich bin weird, weil ich nichts mit Instagram anfangen konnte. Heute denke ich: Instagram ist weird.
Und genau darum geht es in dieser Podcastfolge. Über die vielen Kleinigkeiten, die „normal“ sind, seit es Instagram gibt, aber ziemlich weird sind, wenn wir genauer darüber nachdenken …
Folge anhören:
Transkript lesen:
Als ich in der neunten Klasse war, war da dieser Junge. Es hieß, er sei in mich verliebt, doch er hat mir seine Gefühle nie gestanden oder so. Stattdessen schlich er sich während Musicalproben in die Trainingsräume, versteckte sich hinter einem Vorhang und beobachtete mich, wie ich Tanzschritte übte.
An anderen Tagen fuhr er mit dem Fahrrad an unserem Haus vorbei und sah zu, wie ich mich auf dem Balkon sonnte oder las.
Und ich freute mich natürlich tierisch über meinen treuen Follower und bedankte mich artig bei ihm fürs Folgen.
Äh, nein. Dieser Kerl jagte mir eine Scheißangst ein und ich ging ihm im Schulalltag, so gut es ging, aus dem Weg.
Doch auf Social Media lassen wir uns inzwischen freiwillig so beobachten und auf Schritt und Tritt durch den Alltag begleiten.
Wir zeigen freiwillig, wie wir unsere Tanzschritte üben (das nennt sich heute TikTok).
Wir zeigen freiwillig, wie wir auf dem Balkon chillen (dafür ist Instagram da).
Und wir lassen freiwillig Menschen, die wir gut kennen, flüchtig kennen, gar nicht kennen, in unser Zuhause rein und zeigen ihnen völlig freiwillig unsere Möbel, unsere Pflanzen, Deko, vorbeilaufende Kinder, Hunde, Katzen, die Bilder an der Wand, die Bücher im Regal, das Essen auf dem Teller, die Smoothies im Glas, den Kaffee, das Schlafzimmer und sogar unser Bett.
Und wenn ich ganz ehrlich bin, finde ich das ziemlich weird.
Und genau darum soll es in dieser Podcastfolge gehen. Ich möchte einen Blick darauf werfen, was durch Instagram mittlerweile als völlig normal gilt. Aber wenn wir genauer überlegen, eigentlich ziemlich weird ist.
Ja. Instagram ist weird.
Aber nicht nur, weil wir freiwillig unsere Privatsphäre aufgeben und so unfassbar viele Menschen in unser Zuhause reinlassen, wie ich zu Beginn beschrieben habe.
Wir lieben es im Gegenzug auch, andere Menschen beim Leben zu beobachten. Wir teilen ja nicht nur auf einmal alles mit der Welt. Wir wollen auch alles sehen, was andere Menschen mit der Welt teilen.
Schon der Begriff „Follower“ ist super weird, wenn wir genauer darüber nachdenken. Er hat wirklich massive Stalking-Vibes und ganz ehrlich, das ist es auf Social Media oft auch.
Wir schauen anderen Menschen beim Leben zu: beim herabschauenden Hund, beim Frühstück, in der Badewanne oder bei der Verlobung. Wir verschlingen gierig jeden Beitrag, warten sehnsüchtig auf den neuen, während wir uns die Zeit mit älterem Content vertreiben.
Wir schauen uns Storys an. Alte, neue und alle dazwischen in den Highlights. Manchmal mehr als einmal. Manchmal jeden Abend wieder.
Und wenn ein paar Tage kein Beitrag in unseren Feed gespült wurde, schauen wir besorgt nach, ob wir womöglich etwas verpasst haben. Schließlich können wir unser Leben praktisch nicht weiterleben, ohne zu wissen, mit welcher pflanzlichen Milch unser Lieblingsinfluencerin heute ihr Porridge zubereitet hat.
Und das ist etwas weird, wenn wir ehrlich sind.
Weird ist auch, dass Filter auf Social Media zur neuen Normalität geworden sind.
Wir teilen ja nicht nur den Moment, so wie er ist, wir bearbeiten den Moment, indem wir rosarote, glitzernde Filter darüber legen.
Besonders krass ist es mit Gesichtern, finde ich. Denn die meisten Gesichter, die ich damals auf Instagram sah, waren mit Filtern bearbeitet. Das heißt, es ist völlig normal geworden, auf Instagram nicht so auszusehen, wie man es eigentlich tut.
Das sind meistens dann Filter, die das Gesicht dahingehend verändern, dass man „normschöner“ wird, d.h. große Augen hat, eine kleinere Nase oder höhere Wangenknochen.
Und ja, damit wir nicht negativ auffallen und die einzigen sind mit Augenringen oder Pickeln, machen wir da natürlich mit und optimieren unser Gesicht auch, sobald wir eine Story machen.
Und das ist alles gar nicht harmlos, wie man meinen mag, Filter machen ja Spaß und so. Es kann tatsächlich ernsthafte psychische Konsequenzen nach sich ziehen. Man nennt das „Snapchat Dysmorphia“. Das bedeutet, dass sich Menschen so sehr an die Gesichter mit Schönheitsfiltern aus Social Media gewöhnen, dass sie ihr Gesicht ohne Filter als unglaublich hässlich empfinden und richtig darunter leiden. Und laut Studien aus der Schönheitschirurgie geben auch die Hälfte der Menschen mittlerweile als Grund für ihre Schönheits-OP Selfies für Social Media an.
Es gab sogar mal einen Filter auf Instagram, ich weiß gar nicht, ob es ihn noch gibt oder ob er inzwischen vielleicht sogar verboten wurde: Dieser Filter hat jedenfalls die typischen Linien ins Gesicht gezeichnet, die Schönheitschirurg*innen einzeichnen würden, sodass man eben genau sehen konnte, wo im Gesicht Operationsbedarf herrscht.
Und ganz ehrlich: Ist das nicht super weird?
Instagram ist auch weird, weil auf den meisten Accounts so getan wird, als würde es im Leben nur Highlights geben.
Das heißt: Alle posten immer nur das, was gut läuft, und die Urlaube und die Erfolge und das Glück. Und wenn es bei uns mal nicht so rund läuft oder wir auch nur ansatzweise die Gefühle fühlen, die auf Instagram eben kaum gezeigt werden, fühlen wir uns nicht normal. Und das ist weird.
Denn es gibt nichts Unnormales an Herausforderungen oder Problemen oder an Plänen, die nicht gelingen. Und es gibt auch nichts Unnormales an Gefühlen wie Wut oder Trauer oder Verzweiflung.
Das alles gehört zu der Bandbreite eines menschlichen Lebens dazu. Doch wenn auf Social Media und insbesondere Instagram nur die schönen Seiten des Lebens inszeniert werden, fühlen wir uns eben schlecht, wenn wir mal phasenweise auf der nicht so schönen Seite des Lebens oder der Gefühle sind.
Aber es ist ja völlig klar, wieso wir nur unsere Highlights auf Instagram posten. Und das ist, weil es meist um Likes und Anerkennung geht.
Und ist das nicht weird?
Denn zum einen begeben wir uns ja freiwillig in eine Bewertungssituation. Das heißt: Jeder Social-Media-Post sagt im Grunde:
„Bewerte mich. Zeige mir, was ich wert bin.“
Und dann erhalten wir die Antworten in Form von Likes (oder ausbleibenden Likes), Kommentaren (oder keinen Kommentaren), Shares (oder keinen Shares).
Und wenn dann Heidi Klum mal kein Bild für uns hat, geht es uns ziemlich dreckig damit. Denn dann fangen wir an zu grübeln:
Warum hat die Kollegin immer so viele Likes, aber ich nicht?
Warum hatten meine Posts von vor zwei Wochen mehr Likes als der heute? Was mache ich falsch?
Sehe ich zu dick auf dem Foto aus oder was ist da los?
Das heißt: Wir knüpfen unseren Selbstwert als Mensch an Likes – und das ist ziemlich weird, weil: Road to Disaster. Es kann nur Probleme nach sich ziehen, sich an Likes zu orientieren. Und Studien zeigen auch, dass sie Menschen maximal kurzfristig gut fühlen lassen.
Langfristig schaden sie eher der mentalen Gesundheit.
Ich hab früher immer gedacht, dass ich weird bin, weil Instagram mich immer so fertig gemacht hat. Aber ich glaube mittlerweile, dass Instagram weird ist. Und irgendwie beruhigt mich dieser Gedanke.
Shownotes:
Faking it: how selfie dysmorphia is driving people to seek surgery