Social-Media-frei
Der Podcast für Marketing ohne Likes, Reels & Selfies
Worum geht’s?
In diesem Podcast nehme ich soziale Medien kritisch unter die Lupe und spreche darüber, wie Selbstständige online sichtbar werden können, ohne ständig ihr Frühstück auf Insta zu posten.
Es geht um „immergrüne“ Marketingstrategien und darum, wie Selbstständige entspannt und nachhaltig ihre Produkte oder Dienstleistungen verkaufen.
Dauergeposte und Dauerhustle nicht nötig!
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Es ist Zeit für feministisches Marketing!
Heute ist Weltfrauentag und weil das für mich so ein wichtiger Tag ist, gibt es eine außerplanmäßige Podcastfolge. Ich will in dieser Folge die Lanze brechen für eine Marketingform, über die wir dringend mehr sprechen sollten: feministisches Marketing.
Heute ist Weltfrauentag und weil das für mich so ein wichtiger Tag ist, gibt es eine außerplanmäßige Podcastfolge.
Folge anhören:
Transkript lesen:
Ich warne schon mal vorab, das wird die längste Podcastfolge, die ich bisher gemacht habe. Ich wollte es ja immer kurz und knackig halten – aber das war bei dem Thema irgendwie nicht möglich.
Denn ich will in dieser Folge die Lanze brechen für eine Marketingform, über die man noch nicht so viel hört, wie ich finde. Und ich glaube, wir sollten das dringend ändern.
Es geht um feministisches Marketing.
Ja, feministisches Marketing. Was ist denn das schon wieder für eine verrückte Idee? Können wir denn nicht einfach neutrales Marketing machen?
Ich könnte mir vorstellen, dass das ein Gedanke ist, den viele Menschen haben, vielleicht auch du, wenn du das erste Mal den Begriff „feministisches Marketing“ hörst.
Und deshalb möchte ich, bevor ich darauf zu sprechen komme, was „feministisches Marketing“ genau für die Marketingpraxis bedeuten könnte, kurz eine wichtige Sache vorweg erwähnen.
Und das ist der Punkt, dass es kein neutrales Marketing gibt.
Das hätten wir vielleicht alle gerne, weil wir uns als Selbstständige damit so schön aus der Verantwortung ziehen könnten. Doch es gibt keine neutrale Kommunikation und deshalb kein neutrales Marketing.
Denn wenn wir kommunizieren, egal, ob mündlich oder schriftlich, egal, ob privat oder beruflich, bringen wir immer auch eine bestimmte Perspektive mit, die sich immer aus unseren Erfahrungen ergibt. Und unsere Erfahrungen haben wiederum sehr viel mit unserem Geschlecht zu tun, unserer Herkunft, Religion, sexuellen Identität, Behinderung usw.
Das heißt, wenn jemand auf Instagram postet „Du kannst alles erreichen, was du dir vornimmst“, ist das nicht neutral.
Diese Person offenbart damit ihre Privilegien, weil es für die meisten Menschen dieser Erde aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihres Aussehens usw. in der Praxis eben nicht stimmt, dass sie alles erreichen können, was sie sich vornehmen.
Es ist zum Beispiel wahrscheinlicher, dass jemand, der Thomas heißt, in den Vorstand eines börsennotierten Unternehmens kommt als eine Frau – egal, wie sie heißt. Und es ist wahrscheinlicher, dass eine dünne Frau mehr in ihrem Job verdient als eine dicke Frau.
Wir könnten dieses Spiel jetzt noch für die nächste Stunde weiterspielen und alle möglichen Studien aufzählen, die zeigen, dass das Geschlecht, das Aussehen, die Herkunft, die sexuelle Identität usw. definitiv eine Rolle beim Erfolgreich-Werden spielen.
Doch wichtig ist mir, einfach nur nochmal zu betonen:
„Du kannst alles erreichen, was du dir vornimmst“ ist keine neutrale, positive Aussage, sondern eine gewisse Perspektive, die Menschen nur dann einnehmen können, wenn sie im Alltag nicht behindert und diskriminiert werden.
Und ähnlich ist es auch mit dem Wunsch, den ich in der letzten Zeit oft per E-Mail bekomme, dass wir doch bitte schön wieder unpolitisches Marketing machen sollten und nicht immer gleich Stellung beziehen sollten, z.B. gegen Rechts, wie ich es in meinem Newsletter nun paar mal gemacht habe.
Ich habe zum Beispiel neulich eine E-Mail bekommen, in der es sinngemäß hieß:
„Können wir es denn nicht bitte mit den Kategorien lassen? Links, rechts, Mann, Frau – wir sind doch letzten Endes alle nur Menschen. Und ich versuche auch Menschen Verständnis entgegenzubringen, die gerade nach rechts driften, und nicht gleich pauschal über sie pauschal zu urteilen usw.“
Ja, auch das ist keine neutrale Aussage.
Ein „Herz für Nazis“ zu haben oder zu sagen „Es reicht jetzt aber auch mit feministischen Forderungen“ sendet genauso eine politische Botschaft, wie sich explizit gegen Nazis zu positionieren oder eben explizit feministisch zu positionieren.
Wir können einfach nicht neutral sein in dem, was wir tun oder sagen.
Die Annahme, man sei neutral, indem man sich in seinem Marketing nicht positioniert oder Empathie für alle zeigt, einschließlich Nazis, ist ein Trugschluss.
In den acht Jahren meiner Selbstständigkeit habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht:
Wer neutrales, unpolitisches Marketing fordert, meint damit sehr häufig die männliche, weiße, privilegierte Perspektive.
Und das ist ein Problem. Denn wenn das Männliche, Weiße, Privilegierte das Neutrale ist, das Normale ist, ist die Perspektive einer Frau oder einer Schwarzen Person damit immer automatisch nicht neutral und nicht normal. Es wird zu etwas Besonderem, zum Anderen, zum Fremden.
Doch die Perspektiven von Frauen, von Schwarzen Menschen, von Menschen mit Behinderungen, von trans* Menschen, von Menschen mit Einwanderungsgeschichte usw. sind genauso normal wie die männliche, weiße Perspektive.
Und das ist für mich der Grundgedanke des feministischen Marketings. Dass wir die männliche Perspektive als das Normale, als den Standard, als das Neutrale auflösen und sagen:
Im Marketing sind – im Rahmen des Grundgesetzes – alle Perspektiven richtig und wichtig.
Und das schließt für mich natürlich auch die männliche Perspektive mit ein. Feministisches Marketing heißt nämlich nicht, wie gerne mal behauptet wird: Alle Perspektiven sind erwünscht – außer die männliche. Natürlich sind damit alle Menschen und alle Perspektiven gemeint.
So. Und nachdem wir das geklärt haben, spreche ich natürlich auch gleich darüber, wie feministisches Marketing genau aussehen könnte.
Aber davor möchte ich noch einmal über Etikettenschwindel reden, also über Marketing, das sich feministisch anhört oder sogar nennt, es aber häufig nicht ist.
Und die erste Strategie, über die wir reden müssen, ist das sogenannte Femvertising. Also ein Kofferwort aus „Feminismus“ und „Advertising“.
Femvertising.
Und da geht es darum, Produkte und Dienstleistungen mit Feminismus zu bewerben oder das Marken-Image mit Feminismus aufzupolieren. Das heißt, hier wird Feminismus im Grunde zu einem Marketing-Gag.
Es geht gar nicht darum, Frauen grundsätzlich zu stärken, es geht darum, Produkten, deren Zielgruppe Frauen sind, einen feministischen Touch zu verleihen und damit den Verkauf anzukurbeln.
Oft ist es dann so, dass in diesen Werbungen oder Marketingbotschaften „starke“ Frauen im Mittelpunkt stehen und damit die Botschaft, dass Frauen alles erreichen können, was sie nur wollen.
Dabei werden aber meistens nicht so positive Themen wie Gender Care Gap oder Gender Pay Gap oder der Kapitalismus ausgeklammert, weil es im Grunde darum geht, positive Gefühle bei der Zielgruppe zu wecken, also Autonomie zum Beispiel oder Selbstwirksamkeit.
Und es geht gar nicht so um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit bestimmten Themen.
Ein prominentes Beispiel für dieses Femvertising ist McDonald’s. Sie haben am Weltfrauentag 2020 eine Kampagne gelauncht, in der sie Frauen in untypischen Sportarten zeigten, also Basketball oder Skaten usw.
Und dazu verwendeten sie das Hashtag #weilichskann.
Und die Botschaft sollte vermutlich sein, dass wir uns von alten Rollenklischees verabschieden sollten und das ist sicherlich schön und alles. Doch alleine schon das Hashtag #weilichskann zeigt bereits, wie unreflektiert hier der Feminismus verstanden wird. Er ist nicht intersektional, er richtet sich nicht an alle, denn es gibt auch sehr viele Menschen, die es nicht können, um mal in ihrem Sprachgebrauch zu bleiben.
Diese Kampagne ist sehr ergiebig, denn sie zeigt auch noch eine zweite Strategie, die oft fälschlicherweise mit Feminismus gleichgesetzt wird, und das ist Female Empowerment.
Female Empowerment ist der Ansatz, dass Frauen gestärkt und gefördert werden sollen und ja, auch das ist sicherlich ein gut gemeinter Ansatz. Nur kommt es dabei in der Praxis meist zu Problemen.
Bei McDonald’s war es jetzt so, dass sie in Zusammenhang mit dieser Kampagne auch noch ein Video von McDonald’s-Mitarbeiterinnen auf ihren Social-Media-Kanälen verbreiteten. Das Video hieß „Fünf Karrierefrauen verraten ihr Erfolgsgeheimnis“.
Und ja, Frauen, die arbeiten, als „Karrierefrauen“ zu bezeichnen, impliziert, dass das eben immer noch nicht normal ist, dass Frauen Karriere machen. Das ist eine konversationelle Implikatur und ich hab das schon an verschiedenen Stellen angemerkt, warum das ein Problem ist und warum wir das im Marketing nicht machen sollten. Deswegen werde ich an dieser Stelle auch nicht weiter darauf eingehen.
Dann sind es alles nur weiße Frauen, die in diesem Video gezeigt werden. Das heißt: Hier kann McDonald’s gerne behaupten, dass ihnen Vielfalt wichtig ist. Doch wenn sie ein Video von Frauen in Führungspositionen drehen und da keine einzige Schwarze Frau dabei ist oder Muslima oder Frau mit Behinderung usw., ist das ein Widerspruch.
Denn entweder hat McDonald’s solche Frauen in der Führungsetage und dann stellt sich die Frage, warum McDonald’s diese Frauen nicht im Video zeigt.
Oder McDonald’s hat diese Frauen nicht in der Führungsetage, doch dann können sie eben nicht mit Vielfalt und Diversität werben, wenn sie keine Diversität in ihrem Unternehmen leben.
Und schließlich sagen diese „Karrierefrauen“ im Video auch noch, was sie ihrem jüngeren Ich raten würden. Doch diese Sätze werden so geschnitten, dass sie ausdrücklich den Zuschauerinnen Tipps geben sollen. Und dann hört man sowas wie:
Trau dir mehr zu.
Trau dich, deine Meinung zu sagen, auch wenn es Diskussionen gibt.
Akzeptiere, dass du es nicht jedem Recht machen kannst.
Nimm einfach eine ordentliche Portion Mut mit.
Sei nicht so nett, sag, was du willst, und vertrau dir selbst.
Und so weiter und so fort.
Hier wird also das Thema Gleichberechtigung – wieder einmal, muss man leider sagen – auf Frauen abgewälzt.
So, als würde es jetzt an mir liegen, dass wir keine Gleichberechtigung haben und immer noch den Gender Pay Gap und Care Gap und alle weiteren Gaps gibt, weil ich nicht mutig genug bin, weil ich zu nett bin oder weil mir zu wenig zutraue.
Und nicht etwa, weil die Strukturen in der Gesellschaft so sind, wie sie sind, und Frauen eben systematisch benachteiligen – egal, wie mutig oder nett sie sind.
Und wenn Feminismus im Marketing so verstanden wird, dass Frauen noch mehr an sich arbeiten müssen, tun diese Marketingvideos letzten Endes keinen Gefallen.
Sie stärken Frauen nicht, sie bürden ihnen noch mehr Arbeit auf, als sie eh schon haben, nämlich Selbstoptimierung.
Es gibt noch eine weiteren Strategie, die oft einen feministischen, empowernden Touch hat und das ist das Konzept Body Positivity. Und da müssen wir natürlich über Dove reden.
Denn das Unternehmen hat bereits 2004 auf Models in ihrem Marketing gesetzt, die nicht normschön waren. Und das klingt erst einmal super, weil sie sicherlich hier die Vorreiter waren. Und das ist natürlich auch super, wenn die Vielfalt von Frauenkörpern im Marketing, auf Social Media, im Fernsehen usw. gezeigt wird.
Nur ist es auch hier leider, leider nicht so einfach.
Denn zum einen ist es so: Body Positivity und der Imperativ „Liebe dich so, wie du bist“ ist letzten Endes ein weiteres To-do auf der Liste von Frauen. Neben Kinderbetreuung, und wie wir von McDonald’s gelernt haben, der Vorantreibung der Gleichberechtigung, neben Wäsche waschen und Karriere machen und Sport natürlich auch noch dazu, müssen wir uns jetzt auch noch selbst lieben.
Und wenn wir uns in unserem Körper aber nicht wohl fühlen, liegt das nicht etwa an den Strukturen oder an Social Media, die alle ein bestimmtes Bild von Frauen verbreiten, sondern an uns, weil wir uns nicht gut genug selbst geliebt haben.
Und dass Dove in ihren Videos dann zum Beispiel sowas sagt wie “Millionen Frauen straffen ihre Kurven mit Dove. Schade, dass wir sie nicht alle zeigen können“, ist das natürlich eine seltsame Botschaft, die heißt: „Frauen dürfen Kurven haben, ja. Aber wehe, sie sind nicht straff.“
Und wenn man sich das Unternehmen Dove anguckt, ist es so, dass sie zu Unilever gehören, zu dem zum Beispiel Beispiel auch noch das Unternehmen Fair & Lovely gehört, das sich an Schwarze Frauen richtet und in ihrem Marketing gezielt den Wunsch nach einer helleren Hautfarbe weckt.
Und tatsächlich ist es auch, dass Dove 2017, also 13 Jahre, nachdem sie diese Body-Positivity-Kampagne starteten, eine Werbung hatte, in der eine Schwarze Frau ihr T-Shirt auszieht und dann – mit Hilfe eines Dove-Produkts – zu einer weißen Frau wird.
Diese Werbung wurde zurecht heftig kritisiert, weil: offensichtlich rassistisch. Und natürlich ist das keine feministische Botschaft.
Das heißt, auch hier tarnt sich Body Positivity als Feminismus. Doch wenn wir tiefer gucken, stellen wir nicht nur fest, dass es wieder mal die Frauen sind, denen neue Aufgaben auf die To-do-Liste geschrieben werden – also: „Liebe dich selbst“ usw. –, sondern dass es auch widersprüchliche Marketingbotschaften gibt und dass auch Dove als Unternehmen kritische Verbindungen zu anderen Unternehmen hat, die problematische Dinge tun.
Es mag natürlich ein Fortschritt sein zu offensichtlich sexistischem Marketing, völlig klar.
Also wenn wir da zum Beispiel an True Fruits denken. Das Unternehmen stellt ja Smoothies her, und sie werben regelmäßig mit sexistischen Botschaften.
Sie nennen ihre Smoothies zum Beispiel „Abgefüllt und mitgenommen“ oder „Oralverzehr – schneller kommst du nicht zum Samengenuss“ und ja, da wirkt natürlich eine Body-Positivity-Kampagne tausendmal fortschrittlicher und das will ich im Grunde auch nicht bestreiten, aber feministisch können wir das aus den genannten Gründen eben auch nicht nennen.
Und vielleicht merkst du schon, wo es bei den ganzen Problemen, die ich gerade beschrieben habe, meistens so hingeht.
Es ist der Widerspruch zwischen dem, was Unternehmen nach außen in ihrem Marketing kommunizieren und dem, was innerhalb des Unternehmens und der Unternehmensstrukturen abgeht.
Das heißt einerseits sage ich in meinem Marketing „Mir ist Diversität wichtig“, doch wenn ich mir dann die Führungsetage angucke, ist sie meistens weiß.
Oder ich sage „Jeder Körper ist schön“ und dann sage ich im selben Atemzug „Kurven sind okay, solange sie straff sind“ oder ich produziere einen Werbeclip, wo sich eine Schwarze Frau in eine weiße Frau verwandelt.
Ja.
Und wenn es da diese großen Widersprüche gibt, spricht man von Pinkwashing oder auch Femwashing.
Also der Begriff an sich ist sicherlich egal. Entscheidend ist, dass wir diesen Widerspruch benennen können. Und vielleicht kennst du auch andere Formen von Social Washing, nämlich Greenwashing, Rainbowwashing, Bluewashing usw.
Es geht dabei immer darum, dass es einerseits ein gewisses Image gibt, also zum Beispiel „Wir sind als Unternehmen klimafreundlich“, aber in der Praxis stimmt das einfach nicht, weil beispielsweise bei der Herstellung nicht so umweltfreundliche Dinge passieren. Dann ist das Greenwashing.
Und ich finde es extrem wichtig, diese Praktiken zu benennen, weil es eben nichts bringt, oberflächlich für gewisse Dinge einzutreten, ohne seine Unternehmenspraxis zu ändern oder dafür einzutreten, dass sich Strukturen verändern.
Ja, jetzt habe ich sehr ausführlich darüber gesprochen, was feministisches Marketing nicht ist.
Feministisches Marketing ist nicht Femvertising.
Feministisches Marketing ist nicht Female Empowerment, so wie es auf sozialen Medien oder den Standard-Werbeclips gelebt wird. Also wir sagen „Frauen können alles schaffen, was sie wollen“ und das war unser Beitrag zum Weltfrauentag im Besonderen und Feminismus im Allgemeinen.
So einfach ist es nicht.
Und Body Positivity ist natürlich sympathischer als offen gelebter Sexismus, doch auch hier macht Body Positivity ein Unternehmen nicht automatisch feministisch, wenn die übrigen Marketingbotschaften und Unternehmensstrukturen eine andere Sprache sprechen.
Das sind alles letzten Endes Formen von Pinkwashing.
Jetzt kommen wir aber endlich dazu, was denn feministisches Marketing ist oder sein könnte. Denn im Netz, als ich für diese Folge recherchiert habe, habe ich nur sehr wenig dazu gefunden.
Dieser Begriff ist nicht besetzt und die folgenden Punkte sind mein erster Versuch, ein Konzept zu beschreiben. Ich weiß nicht genau, wie gut mir das gelingt. Ich wünsche mir einfach, dass wir mehr darüber reden. Und das wir, ja, einfach anfangen, darüber zu reden.
Also was feministisches Marketing sein könnte. Was darunter fällt und was nicht.
Und wenn du deine eigene Sicht hast, dann fang gerne an, darüber auf deinen Kanälen zu reden. Denn je mehr wir über das Konzept feministisches Marketing sprechen, desto besser.
So, ich möchte dir im Folgenden acht Merkmale oder besser Kriterien nennen, die aus meiner Sicht feministisches Marketing auszeichnen. Die Liste ist nicht vollständig, weil, wie gesagt, ich habe gerade damit begonnen, über dieses Thema nachzudenken, und wäre für mögliche Ergänzungen sehr dankbar.
Punkt #1: Feministisches Marketing berücksichtigt Intersektionalität
Was meine ich damit?
Botschaften wie „Frauen können alles schaffen, was sie wollen“ beziehen sich meistens auf einen ganz bestimmten Typ Frau, nämlich auf die weiße, normschöne Frau ohne Behinderung.
Und es gibt, wie ich schon angedeutet habe, eine Menge Studien, die belegen, dass das nicht stimmt, dass Schwarze Frauen, Frauen mit Behinderungen, dicke Frauen, Frauen mit Migrationshintergrund, also Frauen, die eben nicht der weißen Norm entsprechen, schlechtere Chancen auf so vielen Ebenen haben. Dass sie eben nicht alles erreichen können, was sie wollen.
Und wer das als Unternehmen im Marketing nicht berücksichtigt und die verschiedenen Lebensrealitäten der Frauen ignoriert, macht einen Feminismus für weiße Frauen, der dann eben auch nicht mehr Feminismus genannt werden kann.
Deshalb ist es so wichtig, in seinem Marketing nicht nur das biologische Geschlecht zu berücksichtigen und beispielsweise Frauen in seine Werbevideos zu packen, sondern immer auch verschiedene Geschlechtsidentitäten, Herkünfte, Religionen, Körper, Aussehen, Behinderungen usw. mitzudenken.
Denn die Voraussetzungen für Schwarze Frauen sind aufgrund von Alltagsrassismus nun mal andere als für weiße Frauen. Und für Frauen mit Behinderungen nochmal andere usw.
Und es ist im feministischen Marketing notwendig, verschiedene Merkmale abzudecken und nicht nur das Geschlecht.
Also: Wer ein Video über Frauen, die im Unternehmen Führungspositionen haben, machen will, sollte lieber sicherstellen, dass es dort tatsächlich auch eine Vielfalt von Frauen gibt. Sonst sollte man vielleicht nicht so ein Werbevideo machen und lieber erst einmal dafür sorgen, dass die Führungsetage diverser wird.
Und Marketing, das Intersektionalität mitdenkt, hat vermutlich dann automatisch auch komplexere Botschaften, die sich vielleicht nicht auf drei Slides in einem Karusselpost auf Instagram herunterbrechen lassen, ja.
Aber diese Komplexität ist notwendig, wenn einem die Werte Vielfalt und Diversität wirklich wichtig sind als Unternehmen. Diversität ist komplex. Und feministisches Marketing muss dem Rechnung tragen.
Kommen wir zum zweiten Punkt und es ist traurig, dass man diesen zweiten Punkt noch mal explizit erwähnen muss, aber:
Punkt #2: Feministisches Marketing ist trans*-freundlich
Leider findet man im Marketing immer noch Äußerungen, die trans*-feindlich sind und wo Menschen sich über trans* Menschen lustig machen. Und das hat überhaupt nichts im feministischen Marketing verloren.
Bekanntes Beispiel ist die Fitness-Influencerin Pamela Reif, die vor nicht allzu langer Zeit vor den Augen ihrer Millionen Follower einen Filter ausprobiert hat und gesagt hat, dass er sie aussehen lasse … den Rest kann man sich ja denken.
Das gab einen großen Aufschrei und das zeigt wieder einmal wunderbar, dass es nicht ausreicht, dass eine weiße, normschöne Frau erfolgreich wird und man muss im Fall von Pamela Reif sagen, sich ein Imperium aufbaut, weil es die Situation von anderen Frauen nicht automatisch verbessert und von trans* Frauen schon gar nicht.
Auch J.K. Rowling, ja die Autorin von Harry Potter fiel vor ein paar Jahren durch die Äußerung auf, dass trans* Frauen keine richtigen Frauen seien. Und ja, auch hier: Eine erfolgreiche Frau verbessert nicht automatisch die Situationen für andere Frauen. Stattdessen kann es sein, dass sie ihre Reichweite nutzen, um sich gegen trans* Frauen zu äußern.
Dabei kam 2020 in einer europaweiten Umfrage raus, dass in Deutschland 10% aller trans* Menschen immer noch Gewalt erfahren. Und Deutschland lag damit sogar knapp über dem EU-Schnitt.
Deshalb ist für feministisches Marketing aus meiner Sicht Pflicht, da sensibel zu sein und trans* Menschen einzuschließen.
Punkt #3: Feministisches Marketing löst Stereotype und Klischees auf – und bedient sie nicht.
Und da denkt man vielleicht zuerst an offensichtlich sexistische Werbung. Ich hatte ja schon das Beispiel True Fruits genannt, aber tatsächlich bedienen Unternehmen auch sehr häufig subtil Stereotype. Und ich vermute auch, wahrscheinlich gar nicht so beabsichtigt.
Also wer immer noch von „Karrierefrauen“ spricht, sagt damit ja automatisch, dass es etwas Besonderes ist, wenn eine Frau Karriere macht. Schließlich gibt es die Begriffe „Karrieremann“ nicht oder „Working Dad“ oder „Boyboss“. Das ist alles nur für Frauen reserviert, weil es immer noch so konzipiert ist, dass eine Frau, erst recht wenn sie Kinder hat, eher nicht oder wenig arbeitet und keine Karriere macht.
Das heißt: Unternehmen sollten diese Sprache nicht bedienen, wenn ihnen Feminismus wirklich ein Anliegen ist.
Punkt #4: Feministischem Marketing geht es mehr um Strukturen als um Selbstverwirklichung
Denn wenn wir uns das Marketing angucken, das Frauen in den Mittelpunkt stellt, was an sich ja gut ist, ist es aber immer so, dass es um individuelle Selbstverwirklichung geht.
Und die Botschaften, die dann gesendet werden, sind:
Wenn du dich auf eine bestimmte Art und Weise verhältst, z.B. unseren Mercedes fährst oder unseren Burger isst oder mutig bist, bist du eine richtig starke Frau oder eben auch, kannst du dich beruflich verwirklichen.
Und das ist nicht das, worum es Femininst*innen geht. Es ist natürlich Blödsinn, von „Femininst*innen“ zu sprechen, ich weiß, einfach weil es so viele Strömungen gibt. Aber ich würde schon behaupten, dass alle Richtungen gemeinsam haben, dass es darum geht, die Strukturen für alle Frauen zu verbessern und nicht darum, dass einige wenige an der Spitze stehen.
Das funktioniert nicht, wie wir immer wieder sehen.
Also ja, vielleicht war Angela Merkel Bundeskanzlerin für eine lange Zeit in Deutschland. Doch das heißt nicht, dass sich dadurch die Situation von Frauen in Deutschland verbessert hätte. Es gibt hier immer noch den Gender Care Gap und den Gender Pay Gap und eine ganze Reihe von weiteren Gaps, die ich hier unmöglich aufzählen kann.
Und vielleicht war Sheryl Sandberg lange Zeit COO von Facebook, später Meta. Doch das heißt nicht, dass sie dadurch eine Social-Media-Plattform geschaffen hätte, auf der Frauen sicher sind und nicht beleidigt werden.
Und vielleicht war Sophia Amoruso ein Girlboss und hat aus alter Kleidung ein Imperium aufgebaut. Doch das heißt nicht, dass es ihre Angestellten so gut bei ihr hatten. Denn sie hat ja bekanntermaßen schwangere Mitarbeiterinnen gefeuert.
Das heißt:
Es bringt uns überhaupt nichts, wenn es einige wenige Frauen an der Spitze gibt, die die Strukturen einfach für sich zu nutzen wissen und im Grunde vieles, was problematisch ist, reproduzieren.
Was wir wirklich brauchen, ist, dass sich Strukturen ändern. Also, dass es Gesetze gibt. Dass Unternehmen bestimmte Dinge machen oder dazu verpflichtet werden, wenn sie es eben nicht freiwillig tun. Denn ganz ehrlich: Es kann doch nicht sein, dass es immer noch mehr Männer in den Vorständen von börsennotierten Unternehmen gibt, die Thomas heißen, als Frauen.
Oder dass Frauen immer noch weniger in ihrem Job verdienen und später viel eher in Altersarmut landen als Männer.
Deshalb dürfen Unternehmen im Marketing diese strukturellen Tatsachen, die wirklich unangenehm sind, das ist sicherlich richtig, aber nicht einfach ausklammern. Sie müssen sie berücksichtigen.
Punkt #5: Feministisches Marketing ist kapitalismuskritisch
Und vielleicht schüttelst du jetzt den Kopf, denn natürlich müssen wir als Selbstständige oder als Unternehmen Geld verdienen. Und darum geht es mir auch gar nicht. Ich glaube, diesen Widerspruch müssen wir aushalten. Doch:
Wir dürfen Feminismus nicht verkaufen.
Und wenn wir uns die letzten Jahre angucken, stellen wir fest, dass genau das aber passiert ist.
Ich denke da an all die Shirts und Tassen und Jutebeutel, auf denen „Girlboss“ oder „Feminist“ draufsteht, so als gäbe es dann damit offiziell keine Notwendigkeit mehr, sich mehr mit dem Thema zu beschäftigen.
Und es gab zum Beispiel den Fall in Großbritannien, als 2019 T-Shirts für Charity verkauft wurden, auf denen „Girl Power“ draufstand, wo dann aber herauskam, dass genau diese T-Shirts unter prekären Bedingungen von Frauen in Südostasien genäht wurden.
Das zeigt, dass wir nicht bessere Feminist*innen werden, nur weil wir etwas konsumieren, wo „Girl Power“ drauf steht.
Wir sollten also eher kritisch, vorsichtig, auf der Hut sein, wenn es um Konsum geht.
Tatsächlich ist es sogar so, dass der Kapitalismus und das Patriarchat eine wunderbare Symbiose eingehen. Sie profitieren voneinander. Sie verstärken sich gegenseitig. Und das müssen wir einfach auf dem Schirm haben.
Feministisch sein zu wollen, ohne den Kapitalismus dabei zu berücksichtigen, ist aus meiner Sicht kein Zeichen für Feminismus.
Und ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass feministisches Marketing auch durchaus über den Kapitalismus hinaus denken kann. Also ich denke da an Kreislaufwirtschaft zum Beispiel oder Suffizienzmarketing, wo es eben darum geht, reflektiert zu konsumieren.
Feministisches Marketing darf nicht ausbeuterisch sein. Und ich habe in meinen acht Jahren Selbstständigkeit leider viel zu oft Bekanntschaft mit Unternehmerinnen gemacht, die auf Social Media ein feministisches Image an den Tag legen und sich dafür aussprechen, Frauen zu stärken, doch gleichzeitig ein großes Problem damit haben, die Freelancerinnen, mit denen sie zusammenarbeiten, angemessen zu bezahlen. Und sie feilschen um jeden Euro und bezahlen die Rechnungen viel zu spät. Usw.
Punkt #6: Feministisches Marketing ist solidarisch
Ich habe es ja schon mehrmals gesagt: Wir können nicht die Situation von einer Gruppe von Frauen verbessern, wir müssen die Situation von allen Frauen verbessern.
Und es gibt da so eine Praxis, vor allem unter Onlineunternehmerinnen, und das ist, dass es für Produkte Ratenzahlungen gibt mit einem Aufpreis.
Das heißt: Wenn ein Produkt 1.000 Euro kostet, dann zahlen diejenigen, die sich diese Einmalzahlung leisten können, die 1.000 Euro. Aber diejenigen, die sich die Einmalzahlung nicht leisten können und auf Ratenzahlung angewiesen sind, zahlen dann 4x 300 Euro und damit insgesamt 1.200 Euro. Zum Beispiel.
Ja, es geht mir hier gar nicht um konkrete Zahlen. Das können mal 10% sein oder 20% Aufschlag für Ratenzahlungen sein.
Wichtig ist, dass Frauen, die nicht über entsprechende finanzielle Ressourcen verfügen, zusätzlich bestraft werden, indem sie einen höheren Gesamtbetrag zahlen müssen.
Das machen super viele Onlineunternehmerinnen so, weil sie sagen:
Der Aufschlag deckt den buchhalterischen Mehraufwand ab und natürlich ist da auch immer noch das Risiko eines Zahlungsausfalls.
Und das ist alles sicherlich richtig, nur:
Wir können uns auch dafür entscheiden, solidarisch mit den Frauen zu sein, die über weniger finanzielle Ressourcen verfügen als wir, und das Risiko eines Zahlungsausfalls auch selbst tragen.
Wir können uns dafür entscheiden, gesellschaftliche Teilhabe zu fördern und zu versuchen, es allen oder zumindest möglichst vielen Frauen zu ermöglichen, etwas Neues zu lernen und bei einem Programm dabei zu sein.
Ich kenne auch Onlineunternehmerinnen, die bieten Stipendien an und sagen: Für zehn verkaufte Plätze spendiere ich einen Platz. Auch das ist eine wunderbare Möglichkeit, Teilhabe zu ermöglichen.
Es ist einfach wichtig, wenn einem Feminismus wichtig ist, sich zu fragen: Wie kann ich solidarisch mit anderen Frauen sein?
Denn leider ist es häufig so, dass gerade die Onlineunternehmerinnen, die die heftigsten Aufpreise für Ratenzahlungen nehmen, dann auch sehr öffentlichtkeitswirksam spenden, und das ganze Thema dadurch eben eine gewisse Willkür bekommt.
Denn warum spende ich einen großen Betrag und erzähle darüber immer auf Social Media, aber Frauen, die über weniger finanzielle Ressourcen verfügen als ich, kann ich dann nicht entgegenkommen?
Das erklärt sich mir nicht wirklich, muss ich sagen. Ich weiß nur so viel: Feministisches Marketing muss solidarisch sein.
Punkt #7: Feministisches Marketing ist sprachsensibel
Feministisches Marketing ist sich dessen bewusst, dass wir mit Sprache Menschen einschließen können, aber auch ausschließen können. Und feministisches Marketing entscheidet sich dafür, Menschen einzuschließen.
Und das bedeutet, ja, zu gendern, wie es immer so schön heißt.
Das bedeutet, wenn ein Unternehmen die Botschaft verbreitet, dass die Stärkung von Frauen ein so wichtiges Anliegen für das Unternehmen ist, doch dieses Unternehmen in seinen Marketingtexten nur Männer anspricht, weil es eben „nicht den Sprachfluss“ stört, ist diese Botschaft nicht glaubwürdig.
Wir können Frauen stärken und sie nur „mitmeinen“ – das funktioniert nicht.
Wir müssen sie explizit ansprechen in unseren Texten, es gibt keinen anderen Weg.
Auch wenn wir natürlich sehr gerne darüber reden können, wie wir inklusiv sprechen und schreiben, also dass wir uns über konkrete Maßnahmen unterhalten und zum Beispiel überlegen, wie unsere Sprache auch möglichst barrierefrei wird und so weiter.
Doch das Gendern pauschal abzulehnen, ist das Gegenteil von Feminismus.
Sprachsensibilität ist aber noch mehr als nur Gendern. Es geht grundsätzlich darum, machtsensibel zu sein und bei allem, was wir sagen, zu reflektieren, wer hier auf wen Macht ausübt und was unsere Worte bei anderen Menschen bewirken.
Das ist keine Frage ausschließlich für die Linguistik, sondern natürlich auch fürs Marketing.
Denn manchmal erreichen Kampagnen Millionen von Menschen, und ich finde schon, dass vor allem große Unternehmen eine Verantwortung tragen, ihre Botschaft bestmöglich zu prüfen.
Punkt #8: Feministisches Marketing ist Alltag – kein Weltfrauentag-Marketing-Gag
Denn für mich bedeutet feministisches Marketing, dass mir das Anliegen von Frauen an 365 Tagen im Jahr wichtig ist und dass ich mich als Unternehmen auch feministisch positioniere, wenn mal nicht Weltfrauentag ist und sich da so wunderbar eine Kampagne starten lässt.
Wer 364 Tage im Jahr nicht unbedingt als feministisch auffällt, wird sich vermutlich nur schwer ein feministisches Image aufbauen können, wenn am Weltfrauentag mal in einem Video Frauen gezeigt werden, die Basketball spielen.
Es geht beim feministischen Marketing darum, jeden einzelnen Tag feministisch zu sein, weil – und jetzt kommen wir wieder zum Anfang zurück:
Feminismus ist kein Marketing-Gag.
Es ist die Position, dass das Männliche und Weiße nicht das Neutrale und Normale und der Standard ist, sondern dass alle Menschen und alle Perspektiven und Lebensrealitäten wichtig und richtig sind und deshalb auf allen Ebenen berücksichtigt werden müssen. Auch im Marketing.
Und feministisches Marketing bedeutet deshalb letzten Endes, diese Position konsequent jeden Tag zu leben und zu fördern und dafür einzustehen und sie zu verteidigen, wenn es sein muss.
Und nein, dafür brauchen wir definitiv keine Girlboss-Tasse.
Shownotes:
Unbezahlte Arbeit auf Social Media – Teil 5: Selbstoptimierung
Es geht weiter mit dem Thema „Unbezahlte Arbeit auf Social Media“, und in dieser Folge möchte ich über die Arbeit an uns selbst sprechen – die Selbstoptimierung. Diese findet auf verschiedenen Ebenen statt und es geht immer darum, unsere Persönlichkeit oder unsere Social-Media-Gewohnheiten zu verbessern. Wir sollen „die beste Version unserer Selbst“ werden. Warum ist das ein Problem?
Es geht weiter mit dem Thema „Unbezahlte Arbeit auf Social Media“, und in dieser Folge möchte ich über die Arbeit an uns selbst sprechen – die Selbstoptimierung.
Diese findet auf verschiedenen Ebenen statt und es geht immer darum, unsere Persönlichkeit oder unsere Social-Media-Gewohnheiten zu verbessern. Wir sollen „die beste Version unserer Selbst“ werden. Warum ist das ein Problem?
Folge anhören:
Transkript lesen:
Wir machen weiter mit dem Thema „Unbezahlte Arbeit auf Social Media“. In den letzten Folgen habe ich bereits über unbezahlte Contentarbeit, Emotionsarbeit und ästhetische Arbeit gesprochen.
Und heute möchte ich über eine weitere Form unbezahlter Arbeit sprechen, die soziale Medien von uns fordern, und das ist die kontinuierliche Arbeit an uns selbst. Auch bekannt unter dem Namen Selbstoptimierung.
Und bei der Selbstoptimierung geht es um eine ständige Verbesserung von Eigenschaften oder Fähigkeit. Und damit geht sehr häufig einher, dass wir etwas messen und kontrollieren, um ja … die beste Version unserer selbst zu werden, wie es immer so schön heißt.
Auch hier ist es wie schon bei der Emotionsarbeit oder der ästhetischen Arbeit so, dass soziale Medien Selbstoptimierung natürlich nicht erfunden haben, also es gab auch schon vor Social Media Selbstoptimierung natürlich. Doch auch hier ist es so, dass soziale Medien extrem kompatibel mit Selbstoptimierung sind und deshalb die Tendenzen verstärken.
Und mir geht es jetzt in dieser Podcastfolge auch gar nicht darum, zum Beispiel, ob Schritte zu zählen oder ein Dankbarkeitstagebuch zu führen, jetzt Selbstoptimierung ist oder nicht. Mir geht es natürlich um die Arbeit an uns selbst, die für Social Media notwendig oder typisch ist.
Also was genau wollen wir nun auf Social Media verbessern?
Zunächst einmal: unsere Social-Media-Gewohnheiten. Denn die Dauerpräsenz und die ständige Verfügbarkeit, die soziale Medien von uns fordern, sind anstrengend und erschöpfend. Es gibt immer wieder Studien, die einen Zusammenhang feststellen zwischen Social Media und psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Ängsten oder Burnout.
Doch wenn wir uns mal angucken, wie mit dieser Thematik umgegangen wird, dominiert der Ansatz, dass das als ein individuelles Problem dargestellt wird und nicht als ein systematisches, strukturelles Problem, das es eigentlich ist.
Das heißt, statt das System Social Media zu kritisieren und die Strukturen dahinter, wird gesagt: Naja, du kannst soziale Medien so nutzen, dass sie dir gut tun.
Ich hab das schon mal in der Folge über achtsames Social-Media-Marketing erwähnt. Es geht im Grunde darum zu sagen:
Ja, soziale Medien sind problematisch. Doch mit den richtigen Gewohnheit und Tools und dem richtigen Mindset ist das überhaupt kein Problem mehr!
Und dann geben Social-Media-Coaches oder Achtsamkeitscoaches eben diese Tipps zur Phone-Life-Balance und zum Zeitmanagement und Tipps für einen „effektiven Workflow“ und für einen Digital Detox.
Das heißt, wir müssen auf einmal nicht nur Social Media nutzen, um Marketing zu betreiben. Wir müssen nun auch an unseren Gewohnheiten arbeiten, um Social Media zu nutzen.
Und auch hier ist es so, dass niemand uns diese Arbeit an unseren Gewohnheiten sieht, wertschätzt oder vergütet.
Im Gegenteil: Bei mir hat es zum Beispiel dazu geführt, dass ich extrem an mir gezweifelt habe. Denn ich dachte lange Zeit: Na ja, alle anderen schaffen es, soziale Medien so zu nutzen, dass es okay für sie ist. Nur ich schaffe es nicht. Ich bin nicht gut genug. Irgendwas stimmt mit mir nicht.
Und diese Gedanken rühren daher, dass wir Social Media individuell denken, statt strukturell. Also dass wir, sobald jemand nicht mit sozialen Medien zurechtkommt, annehmen, dass es sein oder ihr individuelles Versagen ist, warum das so ist.
Und das Blöde daran ist, dass sich so nichts am System Social Media ändern wird. Denn wenn wir alle nun unsere Zeit tracken, die wir auf Social Media verbringen oder uns irgendwelche Apps runterladen, die uns dabei helfen, uns irgendwelche Gewohnheiten anzutrainieren, dürfen soziale Medien ja so bleiben, wie sie sind.
Das heißt, um soziale Medien nutzen zu können, ohne dass wir gesundheitlich darunter leiden, müssen wir auf einmal Zeit und Energie und Geld reinstecken. Wir müssen ständig unsere Gewohnheiten im Blick behalten und unser Verhalten tracken und messen und vergleichen und anpassen.
Und das ist unfassbar anstrengend und: Es hat einfach kein Ende, keine natürliche Begrenzung. Wir sind niemals fertig mit dieser Art von Arbeit. Solange wir soziale Medien nutzen wollen, ohne dass wir gesundheitlich darunter leiden, müssen wir unsere Gewohnheiten im Blick behalten.
Doch Frauen auf Social Media haben durch ästhetische Arbeit nicht nur einen makellosen Körper und durch kontinuierliche Selbstoptimierung tolle Social-Media-Gewohnheiten, sondern sie sind auch immer äußerst produktiv und haben natürlich immer ihre persönliche Weiterentwicklung und Karriere im Blick. Vom Aufwachen bis zum Schlafengehen ist auf Social Media einfach alles durchoptimiert.
Es fängt an mit dem richtigen Zeitpunkt fürs Aufstehen und das ist auf Social Media fünf Uhr morgens. Denn erfolgreiche Menschen sind Frühaufsteher. Während alle schlafen, können wir ungestört unseren Zielen nachgehen. Und wenn wir nicht der Typ zum Frühaufstehen sein sollten, wollen wir es einfach nicht fest genug.
Punkt Nr. 2 ist, dass wir den Tag mit einer Meditation starten. Denn wozu sich über die ganzen Gender Pay / Tax / Pension / Care / Leadership oder Data Gaps aufregen, wenn wir die Wut auch einfach wegatmen können! So starten wir ganz entspannt in den Morgen und haben den ganzen Tag einen wunderbaren Glow.
Punkt Nr. 3 ist, dass wir nach der Meditation lesen. Und zwar mindestens zehn Seiten täglich, auf denen wir uns von einem privilegierten weißen Mann erklären lassen, dass wir alles erreichen können, wenn wir nur hart genug an uns arbeiten.
Punkt Nr. 4 ist: Wir machen Sport. Denn schon 180 Minuten täglich reichen, um unseren Puls so hochzutreiben, dass wir unsere eigenen Gedanken nicht mehr hören können.
Punkt Nr. 5 ist, dass wir positiv denken. Denn: Ja, es kann so einfach sein.
Punkt Nr. 6 ist, dass wir stets gut hydriert sind. Und am besten jeden Morgen literweise Zitronenwasser und einen grünen Smoothie trinken.
Und dann sind wir bereit für den Tag.
Und Bonus-Tipp: Wir dokumentieren jeden Schritt unseres Morgens auf Social Media, um andere Frauen daran zu erinnern, dass sie an den Anforderungen, die von allen Seiten an sie herangetragen werden, nur scheitern können.
Ja, du siehst, ich bin nicht so gut auf diese Morgenroutinen und die Hustle Culture zu sprechen, die auf Social Media inszeniert und verfestigt werden und Frauen dadurch den Eindruck vermitteln, dass sie erfolgreich werden können, wenn sie nur hart genug an sich selbst arbeiten.
Sheryl Sandberg hat diese Botschaft 2013 in die Welt gesetzt.
In ihrem Buch „Lean in“. Sie sagt dort:
Wenn Frauen hart arbeiten und mutig sind, können sie alles erreichen, was sie sich vornehmen.
Hört sich erst einmal gut an, ja, doch ist bei näherem Hinsehen leider nur ein unreflektierter Worthaufen, der sehr stark nach Privilegien riecht.
Denn Sheryl Sandberg, die bis Herbst 2022 eine leitende Position bei Facebook hatte, hat ein geschätztes Vermögen von 1,5 Milliarden Dollar. Nicht Millionen, Milliarden.
Und vermutlich lehne ich mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage:
Einer weißen, reichen Frau, die – von Kinderbetreuung über Haushalt – alles auslagern kann, was sie beim Emporklettern der Karriereleiter aufhalten könnte, kommen solche Sätze leichter über die Lippen als beispielsweise Alleinerziehenden, deren Zeit, Kraft und finanzielle Ressourcen nun einmal beschränkt sind, oder Schwarzen Frauen, die möglicherweise täglich Diskriminerungserfahrungen machen müssen.
Für die meisten Frauen dieser Erde gibt es in patriarchalen Strukturen Grenzen. Das will in der Businessbubble niemand hören, das ist aber Fakt.
Selbst wer als Frau weiß und glücklich verheiratet ist, wird – sobald Kinder ins Spiel kommen – nach durchgemachten Nächten und dank diverser Gender Gaps erst einmal nicht so leistungsfähig sein und über die nötigen Ressourcen verfügen.
Deshalb schwächt diese Form von „Female Empowerment“ das Anliegen der Frauen.
Und letzten Endes halst man Frauen so noch mehr unbezahlte Arbeit auf – Contentarbeit, ästethische Arbeit, Emotionsarbeit und nun eben auch die permanente Arbeit „an sich selbst“, die bereits früh morgens beginnt, wenn noch alle schlafen.
Das setzt Frauen noch mehr unter Druck, als sie eh schon stehen, und verstärkt ihre Selbstzweifel.
Ja, das waren meine 2 Cents zum Thema Selbstoptimierung auf Social Media und wir sind fast fertig mit diesem großen, komplexen, aber, wie ich finde, total spannenden Bereich „Unbezahlte Arbeit auf Social Media“.
Fürs nächste Mal bleibt uns noch das Thema „Mental Load auf Social Media“.
Shownotes:
Unbezahlte Arbeit auf Social Media – Teil 2: Contentarbeit
In dieser Podcastfolge geht es um unbezahlte Contentarbeit auf Social Media und die Frage: Was bedeutet es, dass Millionen oder gar Milliarden Menschen ihre Zeit, ihre Energie und ihr Geld in das Posten, Kommentieren und Moderieren von Social-Media-Content stecken? Ist Content für Social Media erstellen ein freiwilliger, kreativer, altruistischer Akt? Oder können wir es vielleicht sogar als Ausbeutung unserer Arbeitskraft verstehen?
In dieser Podcastfolge geht es um unbezahlte Contentarbeit auf Social Media und die Frage:
Was bedeutet es, dass Millionen oder gar Milliarden Menschen ihre Zeit, ihre Energie und ihr Geld in das Posten, Kommentieren und Moderieren von Social-Media-Content stecken?
Ist Content für Social Media erstellen ein freiwilliger, kreativer, altruistischer Akt? Oder können wir es vielleicht sogar als Ausbeutung unserer Arbeitskraft verstehen?
Folge anhören:
Transkript lesen:
Heute geht es weiter mit Teil zwei der Reihe: unbezahlte Arbeit auf Social Media. Und in der Folge heute möchte ich über das Thema Contentarbeit reden und die Frage: Was bedeutet es, dass Milliarden von Menschen ihre Zeit, ihre Energie und ihr Geld in das Posten, Kommentieren und Moderieren von Social-Media-Content stecken?
Und auffällig an diesem Thema ist erst einmal die bemerkenswert dünne Studienlage. Um nicht zu sagen. Bisher wird wissenschaftlich nicht untersucht, was das Ganze eigentlich in konkreten Zahlen bedeutet.
Aber eine Studie habe ich gefunden, und zwar zu der Plattform Reddit. Und die Studie kam zu dem Schluss, dass Reddit-Moderator*innen durch das Moderieren, Hochladen und Teilen der Inhalte jährlich unbezahlte Arbeit im Wert von 3,4 Millionen US-Dollar leisten, was etwa 3 Prozent der Gesamteinnahmen von Reddit entspricht.
Auch wenn Reddit jetzt vielleicht keine klassische Social-Media-Plattform ist, ist die Studie spannend. Denn die Fragen, die in der Studie aufgeworfen wurden, sind natürlich dieselben:
Ist die Erstellung von Inhalten, das Moderieren von Beiträgen oder das Teilen und Weiterverbreiten ein freiwilliger, kreativer, altruistischer Akt oder können wir diese unbezahlte Arbeit im Netz vielleicht sogar als Ausbeutung interpretieren?
Stevie Chancellor, die die Studie zusammen mit ihren Kollegen initiierte, plädiert dafür, bei dieser Frage zwischen gemeinnützigen und profitorientierten Unternehmen zu unterscheiden:
Sie sagt: Wikipedia zum Beispiel sei gemeinnützig. Sie verfolge keine Gewinnabsicht und deshalb sei es auch völlig in Ordnung, wenn Menschen unbezahlt Beiträge für die Wikipedia erstellen. Bei Unternehmen wie Yelp allerdings sei die Lage anders. Yelp ist ein Unternehmen, das mehr als 300 Millionen Dollar Umsatz im Jahr erwirtschaftet und nur deshalb erfolgreich läuft, weil es Menschen gibt, die ohne Vergütung Bewertungen für Restaurants und so weiter schreiben.
Und bei Social Media sieht die Lage aus meiner Sicht da ganz ähnlich aus:
Das Geschäftsmodell von Meta und anderen Betreibern funktioniert nur deshalb, weil Millionen oder gar Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt posten, kommentieren und teilen, ohne dass sie dafür bezahlt werden.
Und der Aufwand, der zum Beispiel alleine hinter dem Posten steckt, ist enorm:
Wir überlegen uns, was wir wann auf Social Media posten und welches der vielen Formate dazu am besten passt.
Wir machen Selfies und bearbeiten manchmal stundenlang Bilder.
Oder wir erstellen Grafiken und Sprüche in Grafikdesigntools wie Canva.
Wir schreiben Captions und planen unsere Posts in einem Planungstool ein, damit sie zu einem optimalen Zeitpunkt veröffentlicht werden.
Und wenn der Post, die Story oder das Reel online sind, bleiben wir auch online, um mit den Menschen, die mit unseren Beiträgen interagieren, ebenfalls zu interagieren.
Wir beantworten Kommentare und DMs und machen Screenshots von den Reaktionen auf unsere Posts und verwerten das weiter in einer Story.
Und wenn unsere Posts veraltet sind und nicht mehr ausgespielt werden bzw. im Falle von Storys gelöscht werden, geht das Spiel wieder von vorne los.
Also extrem viel Arbeit, die alle, die auf Social Media aktiv sind, in die Plattform reinstecken, ohne dass sie dafür auch nur einen Cent von den Plattformbetreibern sehen.
Außerdem ist diese Art von Arbeit ja nicht immer nur Ponyhof, sondern je nach Thema und Nische auch physisch und psychisch anstrengend, weil nicht zuletzt Frauen Belästigungen, Mobbing oder andere Formen von digitaler Gewalt auf Social Media erfahren, sie gleichzeitig aber nur wenig Support von den Plattformbetreibern in dieser Hinsicht bekommen. Meta z.B., das hat Frances Haugen in den Facebook Files öffentlich gemacht, schafft es in mehr als 90 Prozent der Fälle nicht, problematische Inhalte zu prüfen und sie ggf. zu löschen.
Auf dem Höhepunkt meiner Social-Media-Nutzung habe ich zwei Stunden täglich für diese Art von Arbeit gebraucht. Im Durchschnitt. Oft auch mehr.
Das ist zwar weniger als bei so manchem Heavy User, der mehr als vier Stunden täglich auf Social Media verbringt.
Doch es waren immerhin 14 Stunden in der Woche, 60 Stunden im Monat, 720 Stunden im Jahr.
Diese umgerechnet 30 Tage jährlich, die ich brauchte, um Menschen auf Social Media zu bespaßen, wurden – so wie bei Yelp oder Reddit – natürlich nicht vergütet, denn auch das Konzept „Social Media“ sieht keine Bezahlung für Menschen vor, die Contentarbeit leisten.
Ganz zu schweigen davon, dass einem ja auch niemand die Kosten für Bildbearbeitungstools, Grafikdesigntools, Videoschnitttools und Planungstools, Hardware oder Ringlichter ersetzt.
Das zahlen die Menschen, die auf Social Media aktiv sind, ja alles brav selbst.
Warum ist das nun ein Problem? Könnte man nicht auch sagen:
Na ja, die Menschen sind doch freiwillig auf Social Media, um sich mit Menschen zu verbinden, Promis zu folgen oder Marketing für ihr Business zu betreiben.
Doch so einfach ist es aus meiner Sicht nicht. Denn zunächst gilt das, was Stevie Chancellor im Falle von Reddit feststellte:
Meta ist ein börsennotiertes, profitorientiertes Unternehmen, das im Jahr 2022 rund 116 Milliarden US-Dollar Umsatz erwirtschaftete. Damit ihr Geschäftsmodell, das ja darauf beruht, Daten der User zu sammeln und sie an Werbetreibende zu verkaufen, überhaupt funktionieren kann, müssen Menschen Tag für Tag posten, liken, teilen, kommentieren usw.
Man stelle sich nur vor, was passieren würde, wenn eine Woche lang niemand eine Meta-Plattform nutzen würde. Niemand würde posten, niemand würde gucken, was andere gepostet haben – wem sollte Meta dann Werbeanzeigen ausspielen?
Wenn niemand da ist, sieht auch niemand Werbung – und Meta macht kein Geld.
Das heißt: Meta braucht uns. Meta ist für das Funktionieren des Unternehmens darauf angewiesen, dass wir Selfies und Katzenvideos posten, vergütet uns aber nicht.
Und wir können ja einfach mal nachrechnen: Wenn wir mit fünfzig Euro einen Stundenlohn von Selbstständigen annehmen und davon ausgehen, dass sie rund zwei Stunden täglich Contentarbeit leisten, kommen wir auf 36 Tausend Euro im Jahr, um die Menschen, die auf Social Media posten, gebracht werden.
Und das bei der recht konservativen Schätzung von fünfzig Euro Stundenlohn und zwei Stunden täglicher Nutzungsdauer – bei vielen Menschen sind beide Zahlen deutlich höher.
Selbst wenn wir es also lieben, auf Social Media zu sein, ist das verdammt viel Geld, das wir nicht bekommen, weil uns eingeredet wird, dass wir das alles nur zu unserem Vergnügen machen.
Und apropos Vergnügen: Das ist natürlich die Basis dafür, dass wir diese Arbeit unbezahlt erledigen.
Hätte mich jemand, kurz nachdem ich mich selbstständig gemacht habe, gefragt, ob ich freiwillig auf Social Media bin und „Marketing für mein Business“ betreibe, hätte ich geantwortet:
„Auf jeden Fall!“
Denn ich hatte natürlich auch diese schillernden Social-Media-Versprechen verinnerlicht:
Schon der nächste Post könnte viral gehen und damit tausende oder gar Millionen Menschen erreichen. Marken könnten auf mich aufmerksam werden und mir einen Deal anbieten. Ich könnte so viel verdienen, dass ich für immer ausgesorgt hätte.
Ja, Social Media lebt von diesen Konjunktiven und Erfolgsgeschichten und dem klassischen American Dream. Also „From Rags to Riches“ oder von „Unbekannt“ zu „erfolgreicher Influencerin“
Meta ist darauf angewiesen, dass wir alle denken, dass wir uns auf Social Media durch unbezahlte Contentarbeit selbstverwirklichen können. Denn sonst könnten sie ihr Geschäftsmodell so in der Form nicht aufrechterhalten.
Doch wenn wir die schillernden Social-Media-Erfolgsversprechen von dem Glitzer befreien, ist eher Ernüchterung angesagt.
Das fängt schon damit an, dass es kaum Studien dazu gibt, wie viel Influencer*innen zum Beispiel tatsächlich brutto und netto verdienen durch Social Media.
Es gibt viele Statistiken und Rechenbeispiele, die die möglichen Preise pro Post zeigen und sich damit einreihen in dieses Narrativ von Social Media als „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“.
Und ja, diese Zahlen, die wir da zu sehen kriegen, sind oft sehr hoch. Und dann denken wir:
„Wow, 5.000 Euro pro Post! Dann bräuchte ich ja gerade mal einmal im Monat zu posten und hätte mehr Kohle als jetzt durch meinen nervigen Teilzeitjob. OMG!!!“
Doch es bedeutet einfach unfassbar viel Arbeit, aber auch viel Glück fürs richtige Timing und ein Händchen für Grafiken, Worte und Trends, um überhaupt diese Followerzahl zu erreichen, bei der diese Preise gezahlt werden. Außerdem wird oft auch vergessen, dass gesponserte Posts nur ein Bruchteil von den geposteten Posts ausmachen, sodass es natürlich nicht reicht, einmal im Monat einen Post für 5000 Euro zu posten und dann hat man quasi ausgesorgt. Es ist viel komplizierter und anstrengender als das.
Auch bei den Menschen, die zu mir kommen, um sich zu Social-Media-freiem Marketing beraten zu lassen, höre ich immer wieder dieselbe Geschichte:
„Ich bin schon seit zwei Jahren auf Instagram und reiß mir dort ein Bein aus, doch ich dümpel immer noch bei 200 Followern rum und … Kund*innen bekomme ich dadurch schon gar nicht.“
Auch hier gibt es überhaupt keine zuverlässigen Studien darüber, mit welchen Ergebnissen auf Social Media überhaupt rechnen können. Es gibt nur die großen Träume von Social-Media-Erfolgen, aber keine Belege, keine Studien, keine Fakten.
Das heißt:
Die Geschichte, dass wir Social Media brauchen, wenn wir selbstständig sind, hält sich hartnäckig und hilft den Plattformen letzten Endes dabei, unbezahlte Contentarbeit zu legitimieren.
Ja, und ich denke, wir sollten uns dessen in erster Linie bewusst werden, dass es eben nicht einfach nur Posten ist, was wir da tun, sondern dass wir das Ganze als Arbeit verstehen können.
Und dann können wir uns im zweiten Schritt entscheiden, ob wir für Mark Zuckerberg und Co. tatsächlich ohne Bezahlung arbeiten wollen oder ob wir das nicht auch als Ausbeutung verstehen wollen und unsere Zeit und Energie stattdessen lieber in unsere eigenen Projekte und Plattformen stecken.
Shownotes:

Themenwünsche?
Wenn dir ein wichtiges Thema im Podcast fehlt, sag mir gerne Bescheid. Ich freu ich mich auf deine Nachricht.